Oberhausen. Um das Abwasser der Region unter die Erde zu verbannen, braucht es „nur“ noch das Pumpwerk in Oberhausen – aber das ist Deutschlands größtes.
Wo geht’s denn hier zur Emscher? Immer der Nase nach, das hat noch immer funktioniert. Im Holtener Bruch gibt es – noch – ein kleines Loch. Dort unten fließt es, rauscht und stinkt, das ist die alte Emscher, wie das Ruhrgebiet sie 170 Jahre kennt und mit seinem Abwasser befüllt. Aber bald kommt hier der Deckel drauf, und dann ist sie weg: Im Sommer geht in Oberhausen das größte Pumpwerk Deutschlands in Betrieb, damit versenkt die Emschergenossenschaft den toten Fluss für immer. Und lässt fortan oben saubere Bächlein fließen...
Neongrün, so wird die Emscher nicht werden und auch nicht all’ die neue Natur um sie herum, aber: Neongrün ist das Bauwerk; froschgrün, sagt die Bürgerinitiative der Nachbarn, die das Reptil im Wappen führt und den Vorschlag gemacht hat. Das ist das Pumpwerk Oberhausen im Stadtteil Biefang, eins von dreien zwischen Dortmund und Dinslaken, die für den Abwasserkanal Emscher (AKE) arbeiten. Das letzte und das größte und eins der wenigen Zeichen, die künftig überhaupt noch daran erinnern, was darunter versteckt ist. Deshalb darf man es ruhig sehen.
Flüsschen transportiert das Abwasser von 2,3 Millionen Menschen
Denn sonst, sagt Projektleiter Reiner Tatus, „sieht man am Ende nichts mehr davon“. Nichts mehr von den doppelten Stahlbetonrohren unter der Erde, jedes mehr als zwei Meter hoch und breit; genau an diesem 12. Juni vor vier Jahren sind die riesigen Bohrer 40 Metern tief durchgebrochen. Nichts mehr wird man sehen vom Beton und den Maschinen, mit denen sie das Loch gefüllt haben. Nichts von den 1,3 Milliarden Euro, die allein für die Abwasserkanäle ausgegeben worden sind. Und vor allem: nichts mehr sehen vom Dreck, der dem fröhlichen Flüsschen einst den Garaus machte, vom Schmutzwasser von 2,3 Millionen Menschen, das durch ihre Mitte floss.
Und riechen auch nicht mehr. Faulig steigt der Geruch auf, und „da hat doch schon wieder jemand was reingeworfen, das da nicht reingehört“. Tatus, gelernter Maschinenbau-Ingenieur, rümpft die Nase. Eine Damenbinde schwimmt vorbei, man hat auch schon Autoreifen gesehen oder ganze Fahrräder, was nur an den offenen Betonbetten unterwegs passiert sein kann: Sowas schmeißt man gemeinhin ja nicht ins Klo. Im Probebetrieb des Pumpwerks, der seit einigen Wochen läuft, war neulich eine Pumpe verstopft, die mussten sie trockenlegen, sagt Reiner Tatus: „Schauen, was man drin findet.“ Gut, dass sie das vorher gemerkt haben, „das hier ist die Hauptschlagader des Abwassers, die muss laufen“.
Mit vier Stundenkilometern hinab zu Vater Rhein
Denn so ist es gedacht: Dass der Schmutz ab August nur noch durch den AKE zum Rhein strebt, wo das Wasser im Klärwerk Emschermündung ein letztes Mal gereinigt wird. Und dass oben die Emscher sauber plätschert, alsbald schöner noch als früher, fröhlich mäandernd und renaturiert. Sie haben dem Kanal rechteckige Rohre gebaut, das Wasser fließt „im freien Fall“, was in diesem Fall nicht schneller ist als vier Stundenkilometer. Würden die Pumpen es aber nicht anheben, käme es in Dinslaken in 80 Metern Tiefe an – und man kann Vater Rhein ja schlecht auch noch tieferlegen.
Deshalb also das Pumpwerk, das eigentlich zwei sind. Baugleich gespiegelt, technisch getrennt: oberirdisch nicht unbedingt formschöne Häuser, die auf den letzten Drücker noch ein Solardach bekommen, bald Stieleichen, Blumenfelder und ziemlich viel Landschaft. Noch ist hier Baustelle, das Gerippe eines abgetakelten Weihnachtsbaums spiegelt sich in Pfützen. Schon jetzt grasen Pferde und Kühe im Bruch.
233 Stufen und 40 Meter tief: die Pumpen
Unterirdisch spannend besonders für Ingenieure: Saugraum, Trockenwetter- und Regenwetterkammer, die Pumpen ganz unten, die Motoren darüber, aus Platzgründen und damit sie nicht nass werden, dazwischen sechs Meter lange Stahlwellen. Fünf Rohre, die „Förderstränge“ heißen, 90 Zentimeter Durchmesser für den Tag, zehn Zentimeter weniger für die Nacht, wenn das Revier weniger Wasser lässt. Arbeiter vom Schachtbau drehen gerade Schrauben nach, mit einem Schlüssel, so lang wie ihr Arm.
Zweimal 233 Stufen führen hinunter, man nennt so etwas wohl „Kathedrale“. Gerade läuft Maschine 2, die Anzeige der „Vorortsteuerstelle“ leuchtet grün, die Fettschmiere türkis. M 4 und 5 sind noch nicht getestet, hier steht der Schalter auf „Nothalt betätigt“. Zusammen könnten die zehn Pumpen eine Leistung von 16.500 Litern pro Sekunde schaffen. Es ist ohrenbetäubend laut und nach dem Abschalten noch lauter: Dann fällt das Wasser dröhnend in sich zusammen. An der Drucktür in der Ecke steht „Stets geschlossen halten“ und gleichzeitig: Notausgang.
Brandschutz-Abnahme wird das letzte Mosaiksteinchen vor dem Start
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Hier testen sie nun bei Neonlicht, Tag für Tag, schalten Systeme zu und wieder ab, überwachen die Messtechnik, die Durchflussmessgeräte, die Schwingungen – die Anzeige zittert, das Rohr vibriert, dass es in der Hand kribbelt. Das Oberhausener ist ein „einmaliges System“, moderner noch als die schon fertigen Schwestern in Bottrop und Gelsenkirchen sind. Zu gucken, „wie haben andere es gemacht, geht nicht“, sagt Reiner Tatus. Zum guten Schluss wird der Brandschutz abgenommen, „das letzte Mosaiksteinchen für die allerletzte Betriebserlaubnis“. Was eben diesen Brandschutz angeht, sei das Pumpwerk „wie ein kleiner Flughafen“, und man möchte doch hoffen, dass das nichts Schlechtes bedeutet... Reiner Tatus aber ist optimistisch, schon Ende dieses Monats, sagt er, ist das Pumpwerk betriebsbereit. „Für die nächsten 100 Jahre.“