Bottrop. Eigentümer finden für Haus Lindemann im Fuhlenbrock keinen passenden Gastronomen. Nun haben sie die Reißleine gezogen und bauen komplett um.
Draußen hängt am Haus Lindemann noch die Speisekarte vom letzten Juni: Rindfleischsuppe, Jungschweinschnitzel... Seither bleibt in der Fuhlenbrocker Traditonsgaststätte die Küche jedoch kalt. Das Pächter-Duo, das auf die fast schon legendäre Monika End folgte, hat keine drei Jahre durchgehalten. Und in Coronazeiten Betreiber für ein Lokal mit Saal zu finden, erweist als nahezu unmöglich. Jetzt hat die Eigentümerfamilie die Reißleine gezogen.
Nach über 60 Jahren wird in Haus Lindemann nicht mehr gefeiert, gegessen, getrunken. Ein Stück Alt-Fuhlenbrocker Gastronomie verschwindet. Was bleibt, sind Erinnerungen der vielen Menschen, die zum Teil über Generationen dort ihre Familienfeste feiern, mit ihren Vereinen tagen, zum Essen einkehren oder, wie in den 60er, 70er Jahren noch, als der Bergbau den Fuhlenbrock noch prägt, ihr Feierabendbier am Tresen trinken. Was bleibt, sind aber auch die Erinnerungen der Familie Lindemann an ihr Haus, das der Urgroßvater von Tobias Lindemann 1959 als Gasthof eröffnet.
Vom Kohlenhandel zum Wirtshaus
Bis 1980 führt die Familie die Wirtschaft. „Meine Urgroßeltern wohnten noch über der Gaststätte“, sagt Tobias Lindemann. Heinrich Lindemann hatte damals „umgesattelt“ und seinen Kohlenhandel zugunsten der Wirtschaft getauscht. Später übernehmen seine Großeltern Anneliese und Heinrich Lindemann das Gasthaus, das bald um ein Gesellschaftszimmer, dann um einen großen Saal erweitert wird. Taubenzüchter, viele Kegelclubs, die Karnevalsgesellschaft der Plattdütschen gehören viele Jahre zu den Stammgästen. „Ich kann mich sogar noch an Hühnerausstellungen erinnern“, sagt Jörg Lindemann. „Damals war der große Saal voll mit Käfigen und es gab sogar Verlosungen, aber nicht von Hühnern“, lacht der Vater von Tobias. Zu jener Zeit gehört Haus Lindemann zu den umsatzstärksten Wirtschaften in Bottrop. Im Keller stehen große Biertanks, Fässer wären damals zu klein gewesen.
Später ist Monika End über ein Vierteljahrhundert das Gesicht von Haus Lindemann. Zunächst mit ihrem Mann Helmuth, später mit Sohn Andreas, der als Küchenchef neue Ideen und Schwung auf die Speisekarte bringt. Haus Lindemann ist und bleibt eine Adresse für Familienfeiern und die gepflegte Abendkarte nicht nur für die Fuhlenbrocker. Als sie sich mit Service-Urgestein Jürgen Soldat 2017 zurückzieht - das Rentenalter hat sie da längst überschritten - fließen sogar Tränen im Traditionshaus. Den Anschluss haben die Essener Petar Josic und André Heutmekers als neue Pächter nicht so recht gefunden. Und Corona zwingt Josic, der das Lokal zuletzt mit seiner Frau betreibt, letztlich zum Rückzug. Für ein Haus, das zum großen Teil von Familienfeiern lebt, bedeuten die Pandemiebestimmungen den Todesstoß.
Eine Spielhalle wäre nie in Frage gekommen
„Im Sommer fanden wir Schlüssel und Kündigung im Briefkasten, nachdem wir vorher noch 50.000 Euro in Umbaumaßnahmen gesteckt hatten“, erinnert sich Tobias Lindemann. Fast ein Jahr sucht er nach einer guten Lösung. Gastronomie hatte immer den Vorrang. Aber bis auf einen Chinesen, der noch auf weiteren Umbauten durch die Eigentümer besteht, tut sich an der Gastro-Front in diesen Zeiten nichts. „Eine Spielhalle oder Ähnliches wäre für uns hier nie in Frage gekommen, das haben wir auch im Familienrat mit Eltern und Großeltern besprochen“, so Tobis Lindemann.
Ab Oktober wird es nun ruhig in Haus Lindemann. Wo 60 Jahre gefeiert, gegessen und getrunken wurde, kümmert sich dann Steuerberater Thomas Kell um seine Mandanten. Der Fuhlenbrocker zieht dann von der Lindhorststraße mit 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die 500 Quadratmeter großen Räumlichkeiten. Dafür gibt er sein zweites Büro in Sterkrade auf. „Wir wollen unser Geschäft hier im Fuhlenbrock bündeln“, sagt Thomas Kell. Für Nachbarn und Mieter wird es nach dem Komplettumbau auf jeden Fall leiser. Für andere geht mit diesem Treffpunkt aber auch ein Stück Stadtteilgeschichte verloren.
Essen im Fuhlenbrock
Nach der Gaststätte Jakobsmeier, die bereits 2010 schloss, ist nun auch Haus Lindemann Fuhlenbrocker Geschichte. Aber zwei Gasthäuser halten die bürgerliche Esskultur dort noch hoch: Die Gaststätte Zum Keglereck an der Wilhelm-Busch-Straße und Martina Walzok mit ihrem Gasthof Milke an der Lindhorststraße 213.