Bottrop.

Es passiert nicht häufig, dass man die Kirche gleich im Elternhaus hat und dann dort die Taufe empfängt. Aber wer Luise Jakobsmeier kennt - oder der mit 91 Jahren immer noch rüstigen alte Dame zuhört - merkt schnell: In ihrem Leben war nur wenig das, was landläufig als „normal“ bezeichnet wird und durchschnittlich schon gar nicht.

Luise Jakobsmeier stammt aus der gleichnamigen Traditionsgaststätte Im Fuhlenbrock / Ecke Lindhorststraße, dem ältesten Haus am Platz. Dass sie 1922 dort getauft wurde, ist alles andere als ein Ammenmärchen. Denn der Saal des Gasthauses, das ihre Großeltern 1904 eröffneten, diente nicht nur über 20 Vereinen und Verbänden als Treffpunkt, sondern von 1916 bis 1926 auch als Notkirche für die Gemeinde von St. Ludgeri.

Als Luise geboren wurde, war ihr Großvater bereits lange tot und ihre Großmutter führte das Gasthaus bis zu ihrem Tod 1931 allein - und erzog quasi nebenbei auch ihre neun Kinder. „Damals war das nicht sonderlich ungewöhnlich“, erinnert sich Luise Jakobsmeier. Als ihr Vater, Stadtamtmann Wilhelm Jakobsmeier, nach dem Krieg 1949 das Haus, das zwischenzeitlich die Erbengemeinschaft verpachtet hatte, zurückkauft, beginnt die zweite Geschichte der Fuhlenbrocker Institution.

Von der Uni zum Tresen und zurück

Man nimmt 50 000 Mark auf - damals eine Riesensumme - und will das Haus auf einen zeitgemäßen Stand bringen. Denn Vereine wie die „Plattdütschen“, der Bürgerschützenverein, Turn- oder Kleintierzuchtvereine und der Lotterieclub und natürlich die durstigen Fuhlenbrocker sehnen sich nach neuem Flair. Luise und ihr zwei Jahre älterer Bruder studieren auswärts, als 1950 der Vater stirbt.

„Wir mussten zurück, das war klar und mit unserer Mutter zu sehen, dass der Laden läuft“, erinnert sich resolute Frau. Zehn Jahre arbeiten die Geschwister als Wirtsleute, dann nimmt Luise ihr Studium wieder auf. Allein der akadamische Weg der umfassend Interssierten führt die Bottroperin seit 1943 an die Universitäten von Münster (im Krieg), Tübingen, Freiburg, Bonn. Neben Geschichte, Deutsch und Englisch verstärkt sich ihr Interesse für Theologie. „Eine religiöse Ader hatte und habe ich immer noch“, bekennt die alte Dame, die nach den akademischen Weihen schließlich ins Ursulinenkloster in Dorsten eintritt, in dessen Gymnasium sie auch unterrichtet. Nach zehn Jahren ist Schluss - nicht mit dem Glauben, aber mit der Klausur. Von da an unterrichtet sie bis zu ihrer Pensionierung in Heilbronn - und kehrt 2010 in ihre Heimatstadt zurück.

Das „Corso-Filmtheater“ - Großes Kino bei Jakobsmeier

Keine Frage, der Ort war begehrt und vielseitig nutzbar: Als der Vater von Luise Jakobsmeier, die Gaststätte nach dem Krieg von der Erbengemeinschaft zurückgekauft hatte, begann eine umfassende Renovierung. Während der Kriegsjahre war an Instandsetzung nicht zu denken, man konnte froh sein, nicht ausgebombt zu sein.

„Außerdem mussten wir Kriegsgefangene beherbergen“, erinnert sich Luise Jakobsmeier. Die habe man auch mit zusätzlichem Essen versorgt, was natürlich strafbar war, aber von der Familie, die als Zentrumsanhänger politisch nie aus ihrer Gegnerschaft zu den Nazis ein Hehl gemacht hatte, auch als heimlicher innerer Widerstand gesehen wurde. Aber in der Wiederaufbauzeit sehnte man sich auch nach Unterhaltung. Da Fuhlenbrock inzwischen seine schöne Ludgeruskirche hatte, sollte der Saal zum Kino werden: das „Corso-Filmtheater“.

Die Bühne wurde zur Wohnung umgebaut, erinnert sich Luise Jakobsmeier. Der Vorführraum lag zwischen Gastraum und Saal, der selbst zum Zuschauerraum wurde. Der Kinobetrieb lief bis in die 70er Jahre. Die Gaststätte selbst war verpachtet bis Luises Nichte Anja 2000 das Traditionshaus als schwedisches Gasthaus eröffnete. Zehn Jahre später wurde der Betrieb ganz aufgeben. Heute werden die Räume unterschiedlich genutzt.

Hier sind die WAZ-Leser gefragt: Suche nach alten Fotos

Die Geschichte von Luise Jakobsmeier ist sicherlich ungewöhnlich - aber es gibt viele Bottroper Gasthäuser mit interessanter Historie.

Die Historische Gesellschaft geht dem u.a. mit ihren Touren „Auf den Spuren Bottroper Traditionsgaststätten“ nach. Die letzte wird im September sein. Info: www.historische-bottrop.de

Außerdem plant die Historische Gesellschaft, eine Broschüre zu diesem Thema heraus zu geben und sucht dafür auch alte Fotos - bis 1980 - von Bottroper Gasthäusern, Restaurants oder Hotels, vor allem von denen, die nicht mehr existieren. Wenn es sich um Bilder aus dem Familien- oder Vereinsleben handelt, sollten die Gasthäuser aber zu erkennen sein. Das Material wird von der „Historischen“ und dem Stadtarchiv gesichtet und zurück gegeben. Info: Mo-Do, vormittags, Alte Börse, Kirchhellener Str. 10 oder unter 102 430.