Bottrop. Die Stimmung im Bottroper Handwerk ist stark von der Branche abhängig. Aber auch dort, wo die Auftragsbücher voll sind, gibt es Grund zur Sorge.

In der aktuellen Konjunkturumfrage der Handwerkskammern Dortmund, Düsseldorf und Münster bleibt das Geschäftsklima im Ruhr-Handwerk mit 113 Punkten insgesamt stabil. Speziell in der Emscher-Lippe-Region, zu der Bottrop gehört, sank das Geschäftsklima allerdings von 110 auf 96 Punkte gegenüber der HWK-Herbstumfrage. Dabei hängt die Frage, wie es wirtschaftlich läuft, stark von der Branche ab – aber nicht nur. Die Dachdecker zum Beispiel, eigentlich mit vollen Auftragsbücher gesegnet, haben gerade mit massiven Material-Engpässen zu kämpfen.

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Ludger Koch, Chef eines Bottroper Unternehmens für Bedachungen mit zehn gewerblichen Angestellten, erzählt: Die Nachfrage von Kundenseite sei auch in der Corona-Zeit kontinuierlich gleich geblieben. Doch aktuell gebe es manche Baustoffe gar nicht, nur mit erheblichen Lieferzeiten bzw. zu erhöhten Preisen. „Seit Februar ist das explosionsartig so vorangegangen“, berichtet Koch mit Blick auf Holz- und Dämmstoffmaterialien.

Bottroper Dachdecker: Verdreifachung des Preises für Dachlatten

Egbert Streich, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Emscher-Lippe-West, kennt die Nöte im Bereich Personenbezogene Diensleistungen und Laden haltendes Handwerk.
Egbert Streich, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Emscher-Lippe-West, kennt die Nöte im Bereich Personenbezogene Diensleistungen und Laden haltendes Handwerk. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

So macht er etwa bei Dachlatten eine Verdreifachung des Preises aus: von etwa 0,65 Euro auf knapp 1,80 Euro brutto. Beim dämmenden Polystyrol (Styropor) seien „mindestens 50 Prozent vom alten Preis oben drauf gekommen“. Koch hat extra schon eine schriftliche Kundeninformation zur Materialpreisentwicklung erstellt.

Dort erklärt er zum Beispiel: „Der irrsinnige Anstieg der Holzpreise wird unter anderem dadurch bestimmt, dass der amerikanische Holzmarkt zur Zeit von schlechten Ernten und notwendigen Zukäufen in Kanada geprägt ist. Aufgrund des hohen Baugeschehens in China wird die Nachfrage dort zusätzlich angeheizt. In Skandinavien wächst wegen der sich veränderten klimatischen Bedingungen nur noch halb so viel Bauholz nach wie geplant.“ Weitere Faktoren könnten noch hier aufgelistet werden.

Bei den Dämmstoffen wiederum liege ein Problem im Ausfall eines großen Werkes. „Zugleich zieht die Anfrage zum Beispiel bei den Autozulieferern wieder an. Coronabedingt werden zudem mehr Lebensmittel in EPS-Verpackungen online verschickt oder geliefert.“ Das alles beträfe natürlich auch andere Gewerke.

Kreishandwerkerschaft: Materialpreis-Gleitklauseln sind nötig

Gerade kleine Betriebe müssten zu ihrem Schutz mit Preisgleitklauseln in den Verträgen agieren. Doch was sagt der Kunde wohl, wenn er nicht einschätzen kann, welche Summe am Ende auf der Rechnung steht? Und alles viel länger dauert als gedacht? „Das Verständnis dafür, dass bestimmte Dinge nicht sofort gehen, ist begrenzt“, ist Kochs Erfahrung.

Fehlendes bzw. teure Material spielt etwa auch im Metall-Bereich eine Rolle, ergänzt Egbert Streich, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Emscher-Lippe-West. „Viele Handwerker müssen sich überlegen, ob sie mit einer Materialpreis-Gleitklausel arbeiten.“ Ein Konjunktureinbruch drohe dann, wenn die Kunden nicht mehr bereit sind, die steigenden Materialpreisen zu zahlen.

Schwierige Lage fürs Laden haltende Handwerk in Bottrop

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Grundsätzlich aber wüssten die meisten Handwerker in den Bauberufen „im Moment vor lauter Arbeit nicht wohin“. Der Sanitär- und Elektriker-Bereich habe ebenfalls gut zu tun. Schwieriger sei die Lage für Personenbezogene Dienstleistungen und das Laden-haltende Handwerk. „Dem Fleischer in der Fußgängerzone etwa fehlt die Frequenz. Der Bäcker hat weniger Durchsatz in der gleichen Zeit, weil weniger Kunden gleichzeitig im Laden sein dürfen“, nennt Streich Beispiele.

Sein Fazit: Die Lage im hiesigen Handwerk ist uneinheitlich, aber im Großen und Ganzen noch gut – mit grauen Wolken am Horizont. Im gebeutelten Friseurhandwerk beispielsweise rechnet Streich mit Insolvenzen. Und auch gesunde Betriebe werden womöglich verschwinden: „Ich habe in den letzten 14 Tagen drei Betriebsinhaber beraten, die aufhören wollen.“ Ohne wirtschaftliche Not, ohne Nachfolger, noch nicht im klassischen Rentenalter. Corona habe ihnen gezeigt, dass das Leben endlich ist. „Dadurch haben sie ihr Leben noch einmal neu gedacht“ meint Streich.

Über 1000 Handwerksbetriebe in der Stadt

Egbert Streich nennt Zahlen der Handwerkskammer für Bottrop: Zum Stichtag 31. März 2021 gab es in der Stadt 1162 Handwerksbetriebe mit 8338 Beschäftigten. Im ersten Quartal 2021 wurden 33 Existenzgründungen gezählt sowie eine Betriebsübernahme.

Insolvenzen gab es demnach Null. Allerdings galt bis Ende April unter bestimmten Bedingungen eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen in der Corona-Pandemie. „Wir werden erst zum Ende des nächsten Quartals erfahren, wie es um die Insolvenzen hier steht“, so Streich.

Lehrlinge im Bottroper Handwerk gab es Ende März 408; neue Ausbildungsverträge 37. „Meiner Einschätzung nach liegen wir mit den Ausbildungsverträgen jetzt schon leicht hinter der Vorjahreszahl zurück.“ Es fehlten coronabedingt Ausbildungsmessen sowie Praktika, um Bewerber und Arbeitgeber zusammenzubringen. Dabei, so Streich: „Wir brauchen dringend Azubis!“