Bottrop. Das Land will einen Fonds auflegen, aus dem Opfer des Apothekerskandals entschädigt werden. Ein Blick zurück auf einen langen Kampf.

Hier am Tisch sitzen drei Frauen, die verstehen sich gut. Es wird gelacht, gescherzt und gefrotzelt. Dass es eigentlich ein Schicksalsschlag war, der das Trio zusammengebracht hat, davon ist nichts zu merken. Zwei von ihnen - Heike Benedetti und Petra Janßen - lernen sich während ihrer Chemotherapie kennen. Sie erkranken beide an Brustkrebs und gemeinsam mit anderen Patientinnen bilden sie bald schon die "Onko-Mädels". Eine Gruppe, in der man sich gegenseitig Kraft gibt, sich unterstützt.

Dabei ging es nie darum, gemeinsam Trübsal zu blasen. "Wir haben auch wirklich schöne Stunden miteinander verlebt und Spaß gehabt", stellt Heike Benedetti klar. Doch als ob die Krankheit nicht schon schlimm genug gewesen, wäre, schlägt das Schicksal erneut zu. Der Bottroper Apotheker-Skandal wird aufgedeckt. Tausende Krebsmedikamente für Chemo-Therapien wurden gepanscht, erhielten zu wenig Wirkstoff. Auch Onko-Mädels sind davon betroffen.

Und so beginnt neben dem Kampf gegen den Krebs ein weiterer. Es geht darum, dass die Opfer wahrgenommen werden, dass ihr Leid gesehen und sie entschädigt werden. Heike Benedetti organisiert Demonstrationen vor der Apotheke in der Innenstadt, verfolgt mit anderen Opfern den Prozess gegen den Apotheker als Nebenklägerin, ist froh über dessen Verurteilung - wenn sie sich auch eine Strafe mindestens wegen Totschlags gewünscht hätte.

Jetzt, zu Weihnachten ist endlich ein weiteres Etappenziel erreicht. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat angekündigt, dass das Land einen Fonds auflegen wird, aus dem die Opfer entschädigt werden. Damit geht ein fast dreijähriger Kampf zu Ende.

"Als ich diesen Brief bekommen habe, habe ich sofort telefoniert und am Telefon Samba getanzt", sagt Heike Benedetti. "Der Stein, der ihr da vom Herzen gefallen ist, den hat man bis nach Oberhausen gehört", schmunzelt Petra Janßen. Am anderen Ende der Telefonleitung bei Heike Benedettis "Tanzeinlage": Ilona Strunk.

Sie ist später dazu gestoßen, gehört nicht zu den Betroffenen des Apothekerskandals. "Ich habe aber auch eine Brustkrebserkrankung überstanden und mein Mann ist an Krebs verstorben. Ich kann mich da also gut hineinversetzen." Und aus dieser Betroffenheit und Solidarität unterstützt sie Heike Bendetti und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter in ihrem Kampf. "Mit diesem Fonds haben wir die Politik auch gezwungen, draufzuschauen, uns wahrzunehmen", urteilt Ilona Strunk nach dem Erfolg.

Doch es ist ein langer Weg bis dahin, gepflastert auch mit zahlreichen Rückschlägen. Ansprechpartner wechseln, verschiedene Stellen und Ebenen schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Alle äußern Verständnis für die Situation und den Kampf der Frauen, doch Zählbares springt längst nicht überall heraus.

Deshalb ist Heike Benedetti mit dem Erfolg auch nicht versöhnlich gestimmt. "Dafür ist viel zu viel passiert." Sie hat Politiker erlebt, die Gesprächen mit den Opfern ausweichen oder aber - wenn es um konkrete Inhalte und Forderungen geht - nicht vorbereitet sind, Petitionen, die gestellt wurden, durcheinander bringen - auch auf lokaler Ebene.

Es gibt aber auch die positiven Erfahrungen, die Politiker, die sich einsetzen, Leute, von denen sie vorher ein ganz falsches Bild hatte, wie Heike Bendetti zugibt. So habe sich ihre Einstellung zu Laumann und zu Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stark gewandelt. Spahn hat sie bei einem seiner Besuche in Bottrop einen persönlichen Brief mit ihrem Anliegen überreicht. "Er hat sich da tatsächlich drum gekümmert und auch auf mein Schreiben reagiert."

Trotz des Etappensiegs - es bleiben Narben, sagt Ilona Strunk. Das wird deutlich, als das Gespräch wieder auf die Onko-Mädels kommt. Von ursprünglich neun leben nur noch vier. Petra Janßen stockt die Stimme, als die Rede davon ist. "Diese Bilder wirst du nicht los." Am Tisch fließen jetzt auch Tränen.

Der Fonds ist eben auch eine Erinnerung an die verstorbenen Opfer, denn es sei ja eben nicht nur ums Geld gegangen. Aber auch das sei wichtig, ergänzt Petra Janßen. „Es gibt Familien, da sind Mutter oder Vater verstorben, die sind darauf angewiesen."

Im Rückblick gibt Heike Benedetti zu, dass es gut war, dass sie vorher nicht gewusst habe, wie lang diese Auseinandersetzung dauert. "Sonst hätte ich das nicht auf mich genommen." Viel Geld, Zeit und Nerven habe das gekostet. "Doch wärst Du nicht aufgestanden, hättest nicht die Initiative ergriffen, es wäre nie zu diesem Ergebnis gekommen", hebt Petra Janßen den Einsatz von Heike Benedetti hervor.

Nun warten die Betroffenen darauf, dass der Fonds endgültig angelegt ist und der Kampf zumindest an dieser Front endet. Doch der Apotheker wird das Trio und die übrigen Opfer noch lange verfolgen. Vor Gericht geht es in Zivilprozessen um Schadensersatz und Schmerzensgeld.

<<<Info<<<

Im Juli hat der Bundesgerichtshof die Revision des Apothekers verworfen. Damit ist das Urteil des Essener Landgerichts rechtskräftig. Das hatte den Bottroper Apotheker im Sommer 2018 zu zwölf Jahren Haft wegen Betrugs verurteilt und außerdem ein lebenslanges Berufsverbot verhängt.

Die XXI. Wirtschaftskammer sah es als erwiesen an, dass er 14.500 gestreckte oder verfälschte Krebsmedikamente hergestellt hat.