65 Gedenksteine im Straßenpflaster erinnern in Bottrop an Opfer der Nazizeit. Paten putzen sie gerade, neun neue Stein kommen im Dezember dazu.
65 „Stolpersteine“ hat der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 2005 in Bottrop verlegt. Die Gedenksteine erinnern an Opfer der Nazizeit und markieren „den letzten selbstgewählten Wohnort“ vor ihrer Verhaftung, Deportation und/oder Ermordung. Vor dem Gedenktag an die Pogromnacht am 9. November 1938 bringen ganz viele Paten ihre Gedenksteine aus Messing wieder auf Hochglanz. Dabei macht auch Oberbürgermeister Bernd Tischler mit. Er ist Pate eines Gedenksteines. Am 8. Dezember kommen neun neue Steine an vier Adressen hinzu.
Erfreut und ein wenig überrascht registriert die Leiterin der Stadtarchives ein wachsendes Interesse besonders junger Menschen an den Bottroper Opfer des Nationalsozialismus. Schon viele Schulklassen hat Heike Biskup durch die aktuelle Ausstellung im Stadtarchiv zur Deportation der Bottroper nach Riga geführt. Weitere Interessenten muss sie derzeit auf die Zeit nach dem Lockdown vertrösten und denkt deshalb bereits über eine Verlängerung der Ausstellung ins nächste Jahr nach.
Aufpolieren der Messingsteine
Ebenfalls auf großes Interesse gestoßen ist die Archivleiterin mit ihrer Anregung zu einer Putzaktion. Vor dem Gedenktag zur Erinnerung an die Pogromnacht am 9. November 1938 möchte das Archiv, die Koordinierungsstelle für die Bottroper Stolpersteine, das an viele Stellen oxidierte Messing der Gedenksteine wieder auf Hochglanz bringen. Dieses Anliegen hat sie den Paten der Gedenksteine vorgetragen und hat sofort viele Mitstreiter gewonnen. Auch Mitglieder des neuen Jugendparlaments wollen am 7. und 8. November bei der Putzaktion mitmachen. Messingpolitur, Schwamme und Lappen dafür gibt es kostenlos und portioniert im Stadtarchiv.
Neue Forschungen über Familie Dortort
Nicht alle der neun neuen Stolpersteine, die im
Dezember verlegt werden, erinnern an bisher ungenannte NS-Opfer. Vor dem ehemaligen Haus der jüdischen Familie Dortort an der Kirchhellener Straße 46 zum Beispiel werden zwei Stolpersteine erneuert, die an Julius Dortort und an seine Tochter Martha erinnern. Der Familie aus Galizien, einst Polen und heute Teil der Westukraine, wurde im November 1933 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt; in der Pogromnacht wurden ihr Haus und das Geschäft an der Horster Straße 6 angegriffen.
Erst neuer Forschungen haben ans Licht gebracht, dass auch Julius und Martha Dortort im Januar 1942 zu den Bottroper Juden gehörten, die über Dortmund nach Riga deportiert wurden. „Was ihnen dort widerfahren ist, wissen wir noch nicht“, sagt Heike Biskup. Julius Dortort starb im Januar 1945 im Konzentrationslager Dachau, Martha Dortorts Spur verliert sich im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Die neuen Stolpersteine dokumentieren auch die Deportation nach Riga.
Erinnerung an August Steinsiek
Einen neuen Gedenkstein setzt Demnig an der Overbeckstraße 35 für den Bauunternehmer August Steinsiek. Bis heute ist unklar, weshalb er zweimal verhaftet und deportiert wurde. „Soweit ich weiß, soll mein Großvater ein ganz normaler Bürger gewesen sein“, berichtet sein Enkel Hans-Joachim Steinsiek, der seit Jahren nach Spuren seines Großvaters forscht. Der Stolperstein erinnert an seine Ermordung in Dachau am 10. November 1940.
Fünf neue Stolpersteine werden für die Familie Krauthammer ín der Bergstraße 1 verlegt. Mutter Cilli Krauthammergehört zu den doppelt diskriminierten jüdischen Patienten in psychiatrischen Anstalten. Sie wurden nicht nur als Juden verfolgt, sondern wegen ihrer Erkrankung im Namen der „Erb- und Rassenhygiene“. Sie wurde ermordet in einer frühen Phase der „Aktion T4“, später auch „Aktion Gnadentod“ genannt. 1940 und 1941 wurden rund 70.000 Kranke und Behinderte ermordet. Cilli Krauthammer wurde vermutlich im September 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel durch Gas ermordet.
Flucht nach Palästina
Ihr Mann Adolf, Mitbetreiber eines Möbelgeschäftes, lebte ab 1939 von der Unterstützung der jüdischen Wohlfahrt und starb am 13. Januar 1941 in Bottrop. Sohn Max verließ Bottrop 1934 und floh über Frankfurt und Paris nach Palästina. Auch sein Bruder Heinz gelang die Flucht nach Palästina auf dem Schiff „Dora“. Auch Bruder Heinz gehörte zu den Bottroper Juden, die 1942 nach Riga deportiert wurden. Wenige Tage vor Kriegsende und der Befreiung des KZ Buchenwald am 11. April 1945 durch die Amerikaner ist er dort gestorben. An ihn erinnerte bereits seit 2006 an anderer Stelle ein Stolperstein.
An den Bergmann und SPD-Ortsgruppengründer Ernst Ender erinnert ein Stolperstein an der Fuchsstraße 2. Ender wurde 1936 als angeblicher Hochverräter zu Zuchthaus verurteilt und danach drei Jahre lang in Buchenwald eingesperrt. Nach dem Krieg war er wenige Monate lang Bottroper Oberbürgermeister. Er setzte sich besonders für NS-Opfer ein. Heute erinnert die Ernst-Ender-Straße an ihn.
Gedenksteine für NS-Opfer
Seit 1996 erinnern die „Stolpersteine“ des in Berlin geborenen und in Köln lebenden Künstlers Gunter Demnig an Opfer des Nationalsozialismus.
Inzwischen liegen in 1265 deutschen Kommunen und in 21 Ländern Europas seine Messingsteine. Demnigs Motto zitiert er aus dem Talmud: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“