Bottrop. Der ökumenische Beitrag zu „Ruhr 20210“ ist bis heute lesenswert - und ästhetisch gelungen. Kirche hat aber keinen Zugriff auf den Standort mehr.

Nachhaltigkeit war von Anfang an der Anspruch an viele Projekte im Kulturhauptstadtjahr Ruhr 2010. Zehn Jahre danach ist vieles verblasst, manches vergessen. Einige Großaktionen, wie das die Region durchziehende „Stillleben“, die Riesenparty auf der gesperrten A40 zwischen Dortmund und Duisburg, erzeugten aber auch starke Bilder, die nicht nur in Archiven, sondern immer noch in den Köpfen gespeichert sind.

In Bottrop gibt es bis heute die große Open-Air-Galerie am Bunker Eigen. Der 2010 initiierte Zusammenschluss der „RuhrKunstMuseen“ ist immer noch aktiv - und das Museum Quadrat gehört seit zehn Jahren diesem Netzwerk an. Der „Sing! Day of Song“ der regionalen Chöre hat inzwischen mehrmals stattgefunden - und soll 2021 wieder aufgelegt werden. Und auch die erste Oper auf der Halde (2010 war es Verdis „Aida“) hat immerhin soweit Schule gemacht, dass 2016 mit Wagners „Der fliegender Holländer“ es noch einmal ein Mammutwerk des Musiktheaters hinauf in die Bergarena schaffte. Ob so eine Nutzung der Halde nach dem Rückzug des Bergbaus mit dem RVR als neuem Eigentümer noch einmal möglich sein wird?

Sponsoren machten die Lesewand erst möglich

Geblieben ist auch das Projekt „Lesewand“ am Berliner Platz in der Innenstadt. Sie stellt auf elf Glastafeln einen Abriss der Bottroper Glaubens-, Kirchen- und Stadtgeschichte dar, von der ersten Erwähnung des Armeler Hofes im neunten Jahrhundert als Besitz des Klosters Werden bis hin zur Bergbau- und Industriegeschichte und der modernen Stadtentwicklung (fast) bis in die Gegenwart. „Das Kapitel „Bergbau“ müsste sicher noch einmal neu geschrieben werden“, sagt Gerhard Reinhold. Der damalige Referent der katholischen Stadtkirche ist Ideengeber und von Anfang an einer Mitinitiatoren dieses Projekts auf der Schnittstelle zwischen Kunstwerk und Informationsträger. Eigentlich sollte es die Lesewand schon zum Silberjubiläum des 1977 eröffneten katholischen Stadthauses geben. Das Bistum Essen habe sich aber damals schon quergestellt. Und auch als man die modifizierte Idee für das Kulturhauptstadtjahr erneut präsentierte, sei die Resonanz dort nicht größer gewesen, erinnert sich Reinhold.

Immer noch von Interesse: die Lesewand. Geschichtsforscher Josef Bucksteeg (l.) erläutert internationalen Gästen der alt-katholischen Gemeinde die Bottroper Stadt- und Kirchengeschichte.
Immer noch von Interesse: die Lesewand. Geschichtsforscher Josef Bucksteeg (l.) erläutert internationalen Gästen der alt-katholischen Gemeinde die Bottroper Stadt- und Kirchengeschichte. © Alt-kath. Gemeinde

Ursprünglich als rein katholisches Projekt geplant, nahm die Lesewand bis 2010 ökumenische Fahrt auf. „Eigentlich auf Betreiben der Sparkasse und der Egon-Bremer-Stiftung, die den Ansatz gut fanden, aber lieber ein gemeinsames Projekt der Konfessionen fördern wollten“, sagt Eberhard Lang, heute Vorsitzender des Bottroper Katholikenrats. Er, aber auch Anke-Maria Büker-Mamy, Pfarrerin der Bottroper evangelischen Kirchengemeinde, sorgen sich um die Zukunft dieser nicht nur ästhetisch sondern vor allem auch inhaltlich gelungenen Darstellung europäischer Geistes- und Bottroper Stadtgeschichte. „Die Wand zeigt, wie eng Geschichte, Religion und Philosophie miteinander verbunden sind“, sagt Anke-Maria Büker-Mamy. Und in Zeiten wachsender Geschichtsvergessenheit wäre es schade, wenn so eine gut sichtbare und verständliche Darstellung verschwinden müsste.

Die Sorge ist zwar nicht ganz dringlich, aber auch nicht aus der Luft gegriffen. Solange die Stadt noch Mieterin der früheren Kirchenimmobilie sei, dürfte der Platz sicher sein, so Stadtsprecher Andreas Pläsken. Aber falls der neue, seit Verkauf schon zweite, Eigentümer des Stadthauses andere Pläne mit der Front zum Berliner Platz haben sollten, wären die elf großen Platten rasch gefährdet. So suchen beide Kirchen nun - vorausschauend - nach einem neuen Ort für die Bottroper Lesewand. Ideen gebe es schon, sagen Anke Büker-Mamy und Eberhard Lang. Aber wie so oft liegt auch bei einem Kirchenprojekt der Teufel im Detail.

Vier mögliche neue Standorte

Die Einfahrt am neuen katholischen Pfarrzentrum neben St. Cyriakus würde passen, aber Zufahrtsverkehr könnte die Tafeln beschädigen. Der Kulturhof am erweiterten Kulturzentrum hätte Charme wegen der kulturellen Anbindung und der Nähe zur evangelischen Martinskirche. Da habe aber der Baudezernent schon etwas abgewinkt, so Eberhard Lang. Auch am Martinszentrum selbst müsste man sehr genau hinsehen, was und an welcher stelle überhaupt so große Metall- und Glastafeln Platz hätte, sagt Anke Büker-Mamy. Schließlich könnten sich viele, darunter auch Gerhard Reinhold, den Vorhof der Kulturkirche Heilig Kreuz gut vorstellen. Aber da hat natürlich die Denkmalbehörde ein Wort mitzureden. Denn auch der Außenbereich mit Pflasterung und Mauern, der gerade restauriert wird, fällt als Teil des Gesamtkunstwerks unter die Denkmalschutzauflagen.

Diese Stadtortlösung erfordert also Fingerspitzengefühl. Die Qualität der Lesewand dürfte dort aber kein Hindernis darstellen. Die Standortdiskussion ist also eröffnet - wenigstens seitens der Kirchen.

Broschüre noch erhältlich

Zur Einweihung der Lesewand 2010 ist eine schön gestaltete Broschüre zur Wandinstallation „Christlicher Glaube - Christliches Leben“ erschienen.

Einige Exemplare sind noch vorrätig zum Preis von fünf Euro erhältlich. Interessenten können sich bei Thomas Hellbach, Verwaltungsleiter der Großpfarrei St. Cyriakus, melden. 02041/690227.

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