Bottrop/Dordrecht. Die Exkursion von „Orgel Plus“ gehört zu den beliebtesten Veranstaltungen des Festivals. Im Mittelpunkt: Konzerte auf drei kostbaren Orgeln.
Wenn die Orgel-Plus-ler bei der Festival-Exkursion die Kirchen an den Zielorten förmlich stürmen, sind die - zumeist historischen - Gotteshäuser oft voller als zu den üblichen Andachtszeiten. So auch im niederländischen Dordrecht. Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich in die geschichtsträchtige holländische Stadt aufgemacht, die übrigens Partnerstadt von Recklinghausen ist.
Zwei Kirchen und Kurzkonzerte auf drei kostbaren Instrumenten stehen auf dem Programm. Zu hören sind bekannte Interpreten wie André Keijzer von der ehemaligen Augustinerkirche und Stadtorganist Cor Ardesch von der imposanten Grote Kerk - übrigens einer der größten in den Niederlanden. Sie präsentierten „ihre“ Orgeln, die in den letzten 150 Jahren entstanden. Also noch recht junge Instrumente für die Niederlande, die einen reichhaltigen Orgelbestand auch aus früheren Jahrhunderten haben.
Bewährtes Leitungs-Team
Eigentlich steht diese Exkursion, die seit Jahrzehnten vom bewährten Duo Gerd-Heinz Stevens und Gerhard Kemena mit Engagement vorbereitet wird, für ein Nischen- oder Expertenprogramm. Historische Kirchenorgeln, die in Spitze bis zu 240 Frauen und Männer unterschiedlichen Alters sehen und hören wollen? „Sicher ist es immer auch das Gesamtpaket von Musik, Information und Stadtbummel, das die Teilnehmer anzieht“, vermutet Gerhard Kemena, ehemals Kirchenmusikdirektor der Martinskirche.
Eine musik- und kulturinteressierte Bottroperin, die regelmäßig nicht nur die Festival-Konzerte besucht, lässt kurz die fast schon heilige Stille im mächtigen spätgotischen Schiff der Grote Kerk auf sich wirken, bevor Cor Ardesch die so genannte Bach-Orgel vorstellt. „Es ist schön, diese organisch über Jahrhunderte gewachsenen und zum Glück nicht zerstörten holländischen Städte zu besuchen.“
Nachbau einer Silbermann-Orgel
Die Kirchen mit ihren Orgeln bildeten für sie das so genannte i-Tüpfelchen. Dann erklingt die Orgel. „Ein Nachbau von 2007 der niederländischen Firma Verschueren nach Vorbildern des großen deutschen Orgelbauers Silbermann aus dem 18. Jahrhundert“, wie Cor Ardesch später erzählt.
Als er die Treppe zur mächtigen Hauptorgel, ein Kamp-Instrument von 1859 aber im prachtvollen Barockprospekt früherer Jahrhunderte, hinaufsteigt, folgen Festival-Assistent Joel Keller und zwei Kommilitoninnen aus Fernost von der Essener Folkwang-Uni. Zunächst blättert Keller für Ardesch um. Danach sitzt er selbst an dem „luxuriösen Instrument“, wie er es nennt und begleitet zwei Kirchenlieder. Beim Registrieren hilft kein Geringerer als der Dordrechter Stadtorganist höchstpersönlich, während unten 200 Orgel-plus-ler das alten Lied „In dulci jubilo“ singen.
Aber auch an der Bachorgel gibt es ein Bottroper Intermezzo: Pfarrer Steffen Riesenberg von der Martinskirche singt passend zum Instrument eine Arie von Bachs Zeitgenossen Georg Friedrich Händel, begleitet von Gerhard Kemena. Propst a.D. Paul Neumann von St. Cyriakus indes taucht in die Geschichte der Grote Kerk ein. Er erzählt von der in vor-reformatorischer Zeit hochverehrten Heiligen Sura, an die seit einiger wieder ein Wandgemälde im ältesten Teil der Kirche erinnert. Auch die niederländischen Calvinisten scheinen es mit dem Bilderverbot, dem einst der größte Teil der Kirchenausstattung zum Opfer fiel, nicht mehr so ganz ernst zu nehmen.
Geschichte pur im Chorgestühl
Geschichte pur zeigt auch das riesige Chorgestühl aus dem 16. Jahrhundert, auf dem einst die katholischen Stiftskanoniker das Stundengebet sangen: an der Nordseite prangt der Triumphzug Kaiser Karl V. - als die Niederlande noch spanisch-habsburgisch waren. Die Südseite ist dem Triumphzug Christi gewidmet. Wohl deshalb ist das Gestühl nicht entfernt worden.
Auch die alte Augustinerkirche erinnert an die Konfessionsgeschichte der Region. Heute ebenfalls reformiert enthält sie - auch im barocken Prospekt - eine wunderschöne romantische Orgel (um 1900), deren Farbenreichtum André Keijzer effektvoll präsentiert. Louis Vierne’s berühmter „Carillon de Westminster“ klingt ideal auf einem Instrument dieser Epoche.
Abschied von Sylvia Becker
Eine schöne Geste hatte sich Festivalleiter Gerd-Heinz Stevens einfallen lassen. Vor dem Konzert in der Augustinerkirche überreichte er Sylvia Becker vom Kulturamt ein kleines Präsent als Dankeschön für jahrelange treue Begleitung und Hilfe bei „Orgel Plus“ und vor allem der Exkursion.
Sie wird im Frühjahr nach jahrzehntelanger Tätigkeit im Kulturamt in den Ruhestand verabschiedet. „Aber Orgel Plus und vor allem der Exkursion werde ich auch künftig treu bleiben“, sagt Sylvia Becker.
Beim Stadtbummel vor und zwischen den Konzerten in beiden Kirchen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gelegenheit, das schöne und geschichtsträchtige Dordrecht eingehend zu besichtigen.
Parallelen zu den historischen Orgeln
Einige entdecken sogar äußerst populäre Aspekte der Orgelgeschichte. Auf dem Markt macht nämlich eine ebenfalls historische Drehorgel den kostbaren Instrumenten in den Kirchen Konkurrenz. Eins hatte sie doch mit den großen alten Orgeln gemeinsam: Sie wird wie diese nicht mehr von Hand angetrieben, sondern durch einen elektrischen Motor. Die Exkursion hält also ist immer wieder Überraschendes bereit.