Bottrop. . Als Paul Neumann zum Priester geweiht wurde, hat noch niemand an Großpfarreien und Kirchenschließungen gedacht. Zuletzt schmerzhafte Einschnitte.
- Ruhestand eines Priesters entscheidet sich vom Ruhestand eines klassischen Arbeitnehmers
- Das Herz Jesu als Kirche nicht zu halten war, hätte der Propst selbst nicht für möglich gehalten
- Als Priester nie einsam gefühlt sondern getragen von Mitarbeitern und Gemeindemitgliedern
Die Katholische Kirche in Bottrop hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Mittendrin in diesem Prozess war immer Propst Paul Neumann – als Pfarrer von St. Cyriakus, der ältesten Pfarrei der Stadt, aus der sämtliche anderen Gemeinden hervorgegangen sind und auch als Stadtdechant. Nun geht er in den Ruhestand. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Matthias Düngelhoff blickt er zurück auf seine Jahre in Bottrop, auf schöne Erinnerungen und Entwicklungen – und auf weniger schöne.
Wie geht es Ihnen?
Schwer zu sagen, eigentlich steckt man noch in allem so tief drin, dass ich mir noch gar nicht vorstellen kann, wie mein Ruhestand aussehen kann. Wobei Ruhestand bei Priestern ja auch nicht dasselbe bedeutet wie bei anderen Menschen, die mit der Arbeit aufhören. Ich gebe die Verantwortung und das Pfarramt ab, bleibe ja aber Priester in Bottrop und in der Pfarrei. Außerdem hat der Bischof mich gebeten, mein Amt als Stadtdechant zunächst weiter zu behalten.
Sie wurden 1976 zum Priester geweiht. An Großpfarreien und Kirchenschließungen hat zu der Zeit wohl noch niemand gedacht.
Die Weihe, das war rund zehn Jahre nach dem Konzil und wir waren alle darauf aus, dass sich in der Kirche etwas ändert. Die neuen Pfarrgemeinderäte wurden installiert, es gab neue Gottesdienstformen und wir waren froh über diese Entwicklungen. Aber die erste Veränderung kam schon 1995. Ich war damals Pfarrer in Essen und musste dann noch eine zweite Pfarrei übernehmen. Das war noch eine Besonderheit, ich war der 13. Pfarrer im Bistum, der zwei Pfarreien leitete.
Das mag der Beginn einer Entwicklung sein, die 2005 ihren vorläufigen Höhepunkt fand.
Damals hat Bischof Genn den Hirtenbrief geschrieben und die Gründung der Großpfarreien verkündet. Zunächst war die Rede von nur noch 32 im gesamten Bistum, da kam bei uns Priestern die Frage auf, wie das gehen soll. Es gab dann zwei Jahre Vorbereitungszeit, und 2007 wurden schließlich die neuen Pfarreien gegründet.
Wurden die Pfarrer da vom Seelsorger zum Manager?
Das kann man so nicht sagen, zum Glück wurde ja dann gleichzeitig auch die Stelle des Verwaltungsleiters geschaffen. Trotzdem wurde es natürlich mehr. Vorher gab es in St. Cyriakus zwei Kindergärten und auf einmal waren es sieben.
Wie haben Sie das empfunden?
Es war ein großer Spagat, eine immense Spannung. Auf der einen Seite war die wirtschaftliche Notwendigkeit, die Zahlen, die eine klare Sprache gesprochen haben. Und auf der anderen Seit waren die Menschen und ihre Erwartungen und ihre Vorstellungen von Kirche. Und für uns begann es ja auch mit zwei ganz schweren Entscheidungen. Wir mussten St. Barbara und Heilig Kreuz schließen.
Hätten Sie sich dann nicht erst einmal Ruhe gewünscht?
Selbstverständlich, und zunächst schien es das ja auch zu sein. Doch dann kam der Anstoß, erneut wieder alles umzugestalten. Diesmal konnten wir vor Ort mehr entscheiden, die Menschen einbinden. Aber auch in dem Prozess waren wir angewiesen auf die Zahlen des Bistums. Und am Ende war auch der Prozess schmerzhaft, wir mussten entscheiden, Bonifatius, St. Elisabeth und Herz Jesu aufzugeben. Es war für mich unvorstellbar, dass es nicht gelingt, Herz Jesu halten. Doch die Zahlen waren eindeutig. Selbstverständlich gab es während des Prozesses und nach der Vorstellung des Ergebnisses Nachfragen und auch Vorwürfe. Aber es war auch hier wieder der Spagat zwischen wirtschaftlicher und pastoraler Seite.
Es drängt sich aber der Eindruck auf, die Kirche zieht sich zurück.
Der ist so aber nicht richtig. Wenn Sie eine Karte der Stadt nehmen und überall dort, wo katholische Kirche präsent ist, ein Fähnchen einstecken, kommt viel zusammen, auch über die Stadt verteilt. Kirche ist ja nicht nur das Gebäude. Wir haben die katholischen Kindertagesstätten, die Gemeindehäuser, die von Fördervereinen getragen werde. Man sollte nicht so auf Kirche fixiert sein. Selbstverständlich spielt sich das Christentum in der Kirche ab, aber ja nicht ausschließlich, sondern auch in vielen anderen Stätten oder auch in der Arbeit der Caritas, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.
Mit dem geplanten Bau eines Gemeindezentrums am Kirchplatz 2-3 hat die Pfarrei ein großes Projekt angestoßen. Hätte es sie nicht gereizt, das bis zum Ende zu begleiten?
Die Frage hat man mir schon mehrfach gestellt. Aber Kirche als Ganzes funktioniert auch so, dass man Dinge anpackt, sie anstößt und ein anderer bringt es zu Ende. Es muss auch für eine Pfarrei eine Freude sein, wenn ein Neuer kommt, neue Gedanken und Ideen einbringt. Das ist doch bereichernd.
Was bleibt Ihnen an positiven Erinnerungen an ihre Zeit als Pfarrer?
Auf all meinen Stationen habe ich ganz viele Menschen getroffen, die bereit waren, mit mir zusammenzuarbeiten. Viele Menschen waren da, die auch schwere Entscheidungen mitgetragen haben. Ich muss sagen, ich habe mich in all meinen Jahren als Priester nie allein gefühlt. In bin vielen Menschen begegnet, die ich seelsorgerisch begleiten konnte, bei traurigen und bei freudigen Anlässen. Ich habe gemerkt, dass für viele Menschen die Kirche und auch die pastoralen Dienste dazu gehören, auch wenn sie vielleicht nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen.
Sie waren 17 Jahre in Bottrop, bleiben auch im Ruhestand in Bottrop und in der Pfarrei.
Die Stadt ist mir ans Herz gewachsen, hier lässt es sich gut leben. Mit meinem Nachfolger habe ich ein langes Gespräch geführt. Es ist auch nicht mehr unbedingt so, dass ein Vorgänger die Pfarrei verlässt. Angesichts der neuen Strukturen würde das ja bedeuten, dass man quasi die Stadt verlassen muss.
Fällt es Ihnen leicht, loszulassen?
Das weiß ich noch nicht (lacht). Aber dadurch, dass ich hier bleibe, kann ich vielen vertrauten Menschen weiter begegnen. Es fällt aber die Verantwortung von einem ab. Aber ich glaube schon, dass dazu auch Selbstdisziplin gehört.
Als sie in Cyriakus angefangen haben, gab es noch einen Kaplan, inzwischen kaum noch Priester.
Man darf aber die Gemeindereferenten nicht vergessen. Sie sind ganz wichtig und eine ergänzende Arbeit zum Priesterdienst. Ich habe mehr und mehr gespürt, dass eine Gemeinde eben auch die Gemeindereferenten braucht, nicht nur die Priester.
Auch wenn Sie sich ihren Ruhestand noch nicht vorstellen könne, haben Sie doch sicher Ideen und Pläne?
Ich habe in den letzten Jahren längst nicht alle Kontakte und Freundschaften pflegen und aufrecht erhalten können. Da will ich anknüpfen und außerdem mehr reisen. Ich hatte immer schon den Wunsch, Ostern in Israel zu verbringen. Und so wie es aussieht, klappt es jetzt und ich bin nächstes Jahr in Jerusalem. Generell habe ich mich immer von den Worten des Apostels Paulus, mein Namenspatron, leiten lassen: „Wir haben nicht den Geist der Verzagtheit empfangen, sondern den, der uns immer wieder Mut macht, Hoffnung und Zuversicht gibt.“ So habe ich in der Vergangenheit die Situationen angepackt, so gehe ich auch den Ruhestand an.