Bochum. Jeder dritte Deutsche leidet mindestens einmal im Leben unter einer Angststörung. Entsprechend groß war die Resonanz auf das WAZ-Medizinforum „Angst essen Seele auf“ in Bochum. Das St. Josef-Hörsaalzentrum war mit 250 Lesern voll besetzt.
Angst zu haben ist normal, alltäglich. Angst schützt: als Warnsignal, als Alarmreaktion, als Freund. Für jeden dritten Deutschen jedoch wird die Angst zum Feind. Angststörungen sind zur Volkserkrankung geworden, rangieren noch vor Depressionen. Wege aus dem tiefen Tal wies am Dienstagabend das WAZ-Medizinforum in Bochum auf.
Schweißausbrüche, Bauchweh, Herzrasen, Zittern: Viele der 250 WAZ-Leser im voll besetzten St. Josef-Hörsaalzentrum dürften die Symptome kennen, die sich einstellen, wenn (so der Titel des Abends) die Angst die Seele auffrisst. „Die eingebildete Gefahr“: So beschreibt Psychotherapeutin Dr. Franciska Illes die Furcht vor Dingen und vor Situationen, die eigentlich nicht furchteinflößend sind.
Phobien gegen Spinnen, Mäuse oder Hunde zählen ebenso dazu wie der Horror vor Menschenansammlungen, Flugzeugen, großen Höhen oder leeren Plätzen. Panikattacken, unvermittelt beim Einkaufen oder in der Nacht, lösen Todesängste aus, ohne dass man erkrankt ist, tatsächlich um sein Leben bangen müsste. Bei generalisierten Angststörungen wird die maßlos übersteigerte Sorge um sich, seine Liebsten und den Rest der Welt zum dauerhaften, schier erdrosselnden Begleiter.
Wo die Krankheit beginnt
Die normale, gesunde Angst wird zur Krankheit, wenn sie unbegründet ist. Unkontrollierbar wird. Das Leben, die Lebensfreude nachhaltig einschränkt. Aber: „Keine Panik bei Phobien, Panik- und Angststörungen“, beruhigt Prof. Dr. Georg Juckel, Ärztlicher Direktor des LWL-Universitätsklinikums. Zwar hat die Wissenschaft bis heute nicht profund entschlüsselt, wo die Ursachen für die Erkrankungen liegen. Woher rührt das Grauen vor Hunden, ohne je von einem Bello gebissen worden zu sein? Was veranlasst Menschen, die Wohnung nicht mehr zu verlassen, weil sie draußen einer Spinne begegnen könnten? Häufig, so viel ist gesichert, ist Angst genetisch bedingt.
Umso klarer sehen die Fachärzte bei der Behandlung. Eine Kombination aus Verhaltenstherapie und Antidepressiva, möglichst unterstützt von Entspannungsübungen und Sport, soll die Angst lindern und sukzessive verschwinden lassen. Die Erfolge seien beachtlich, sagt Dr. Tobias Teismann vom Institut für Psychologie an der Ruhr-Universität. Je intensiver man sich seinen Ängsten stellt, die Konfrontation mit ihnen sucht und aushält, desto größer die Chance, sich von ihnen dauerhaft zu befreien.
Vermeidung ist keine Lösung
Flucht und Vermeidung sind der falsche Weg. Es gelte, „den Teufelskreis der Angst zu durchbrechen“, betont Dr. Illes. Beispiel: Bei einer Exposition nähert sich der Patient unter ärztlicher Begleitung einer Spinne. Erst am Computer. Dann unter Glas. Letztlich mit dem krabbelnden Getier auf der Hand. Die Angst vor der Angst nehmen: Das könne eine gute Therapie leisten, sagt Dr. Illes. „Man muss sich nur auf den Weg machen.“
Monatelange Wartezeiten bei niedergelassenen Therapeuten
„Wie finde ich bei Angststörungen einen guten Therapeuten?“ Die Frage, die ein Leser am Ende des Medizinforums stellte, ist gut – und doch so schwer zu beantworten.
Zwar geben u.a. die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen Listen mit den örtlich zugelassenen Therapeuten heraus. Ob ein Arzt „gut“ ist, könne der Patient aber erst während der bis zu fünf Sitzungen beurteilen, die die Kassen in der Regel bezahlten, weiß Dr. Franciska Illes, Psychotherapeutin am LWL-Universitätsklinikum. „Es muss passen. Das ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich.“
Bis man überhaupt einem Therapeuten gegenübersitzt, kann es dauern. Mitunter ein halbes Jahr. So lange kann die Wartezeit auf einen Termin bei einem niedergelassenen Seelendoktor betragen. Skandalöse Zustände in einem Land, das sich gern und häufig seines Gesundheitssystems rühmt, klagen LWL-Klinikchef Prof. Georg Juckel und seine Kollegen. Trotz der enorm gestiegenen psychischen Erkrankungen gebe es deutlich zu wenig ärztliche Zulassungen. „Auch die Patienten sind aufgerufen, bei ihrer Kasse Druck zu machen, damit sich endlich etwas ändert“, appelliert Juckel.
Angstsprechstunde für Menschen mit akuten Problemen
Die LWL-Klinik an der Alexandrinenstraße leistet Hilfe. In einer Angstsprechstunde werden Menschen mit akuten Problemen betreut. Zudem gibt es Gruppentherapien. Infos: 0234 50 77 11 90.
Therapieangebote hält – meist im Rahmen von Studien – auch das Institut für Psychologie an der Ruhr-Uni bereit. Vorlaufzeit: vier Wochen. Infos: 0234 32 277 88.
Die Vorträge des Medizinforums können auf der Internetseite des LWL-Klinikums nachgelesen werden. Das nächste WAZ-Nachtforum Medizin findet am 27. November im Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer statt. Titel: „Wenn einem die Luft wegbleibt.“