Bochum. Seit September arbeitet die blinde Tanja Roye bei Frauenärztin Christine Bülow in Bochum-Stiepel. Als Medizinische Tastuntersucherin (MTU) des Projekts „Discovering Hands“ unterstützt sie in der Krebsvorsorge. Eine klinische Studie zu den Erfolgsquoten der MTUs läuft bereits.
Wenn etwas im Inneren des Körpers liegt, das niemand mit bloßem Auge sehen kann und das nur mit Fingerspitzen tastbar ist – wen würden Sie mit seinen Händen auf die Suche schicken: den Sehenden oder den Blinden? Die Antwort liegt quasi auf der Hand. Und genau darum geht es beim Projekt „Discovering Hands“, zu Deutsch: „Entdeckende Hände“, in dem blinde Frauen für die Tastuntersuchung zur Brustkrebsvorsorge ausgebildet werden.
Tanja Roye ist eine von bundesweit 16 aktiven Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU). Seit September arbeitet sie als einzige MTU in Bochum in der Privatpraxis der Frauenärztin Christine Bülow in Stiepel. Ihre medizinischen Kenntnisse für diese Aufgabe hat Roye bei einer neunmonatigen Fortbildung im Berufsförderungswerk Düren erworben und ihre Prüfung vor der Ärztekammer Nordrhein abgelegt.
Die Initiative: Initiator, Kosten, Krankenkassen und Schirmherrin
Discovering Hands wurde von dem Duisburger Frauenarzt Dr. Frank Hoffmann 2006 in einer Pilotphase gestartet. Auf die Orientierungsstreifen hat er mittlerweile ein Patent.
Die Tastuntersuchung durch die MTU kostet für Selbstzahler 46,50 Euro. Bisher zahlen sechs gesetzliche Krankenkassen die Untersuchung, das sind zumeist Betriebskrankenkassen mit regionalem Schwerpunkt.
Die Initiatoren empfehlen aber, bei Inanspruchnahme der Medizinischen Tastuntersuchung bei den Krankenkassen nach einer Kostenübernahme zu fragen.
Schirmherrin der Initiative ist die NRW-Landesministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, Barbara Steffens (Grüne).
Roye klebt fünf Orientierungsstreifen mit tastbaren Punkten auf den Oberkörper von Martina Fischer (36). „Sollte ich etwas Auffälliges finden, kann ich die Stelle mit Hilfe des Koordinatensystems zentimetergenau bestimmen“, erklärt Roye. Ihre zarten Finger tippeln mit sanftem Druck über die Brüste der Patientin, die sie in drei Tiefen untersucht. Nach der 30- bis 60-minütigen Behandlung dokumentiert die MTU ihre Befunde.
Das Tasten gilt als zusätzliche Möglichkeit der Vorsorge
Findet sie etwas, zieht sie die Ärztin zu Rate, die für die Ergebnisse die Verantwortung trägt. Auch darum ersetzt die Untersuchung nicht die gesetzlich vorgesehene Vorsorge durch eine Fachärztin und soll nicht anstelle von Ultraschall oder Mammographie eingesetzt werden. Das Tasten gilt vielmehr als zusätzliche Möglichkeit der Vorsorge.
Frauenärztin Christine Bülow freut sich, eine MTU zu beschäftigen. „Jede Patientin bekommt natürlich im Rahmen ihrer Krebsvorsorge eine Tastuntersuchung. Aber mein Tastsinn ist lange nicht so gut wie der einer blinden Frau“, so die Ärztin. Bisher erhält sie für die Beschäftigung von Tanja Roye einen Eingliederungszuschuss von 50 Prozent des Gehalts durch das Jobcenter Soest, der aber nach sechs Monaten wegfallen soll. „Das finde ich schrecklich, denn viele Frauenärzte scheuen das unternehmerische Risiko, eine schwerbehinderte Mitarbeiterin einzustellen“, sagt Bülow.
Durch einen Netzhauttumor als Kleinkind verlor Tanja Roye mit 19 Jahren ihr Sehvermögen. Die Tätigkeit als MTU bietet der 32-Jährigen die Chance, das Beste aus ihrem Handicap zu machen. „Wir wollen blinde Menschen nicht in Beschäftigung bringen, obwohl sie eine Behinderung haben, sondern weil sie eine besondere Fähigkeit haben“, beschreibt Stefan Wilhelm, Regionalbeauftragter von Discovering Hands, die Inklusionsbotschaft des Projekts. Eine Vorstudie an der Uniklinik Essen habe gezeigt, dass Frauen an sich selbst Tumore von etwa 2,5 Zentimeter Durchmesser entdecken. Die MTU hingegen nehme schon Veränderungen von vier Millimeter wahr, so Wilhelm weiter.
Die Erfolgsquote der Medizinischen Tastuntersucherinnen soll jetzt in einer klinischen Studie an der Universitätsfrauenklinik Erlangen untersucht werden.