Bochum. Mehr als 100 Bochumer informieren sich über kurzfristig eingerichtete Erstaufnahmelager in Linden und bieten ihre Hilfe an. Bezirksbürgermeister Marc Gräf und die Polizei versprechen, Ängste und Sorgen zu berücksichtigen.
Eigentlich hätte sie ganz andere Sorgen. Erst vor kurzem ist sie Opfer eines Wohnungseinbruchs geworden. Aber für Gudrun Hilgenstock-Rohrschneider steht außer Frage, dass sie den Flüchtlingen im Erstaufnahmelager an der früheren Lewacker Schule in Linden helfen wird. „Die haben um ihr Leben gekämpft“, sagt die Frau, die 30 Jahre lang ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit betrieben hat und die sehr gut weiß, wovon sie spricht.
Ihr Appell zur aktiven Hilfe für die Menschen aus Syrien, Eritrea, Ghana und anderen Ländern, „gehen sie auf die Menschen zu und laden sie sie am besten ein“, stößt an diesem Donnerstagabend bei der Mehrzahl der mehr als 100 Besucher eines Info-Abends auf ein positives Echo. Beifall brandet auf.
Spendenseite auf Facebook
Viele haben schon geholfen. So kamen Nachbarn mit Spielzeug für die Kinder vorbei. Kleidung, so heißt es, sollte bei den Kleiderkammern, aber nicht vor Ort abgegeben werden. Und es sind viele an diesem Abend in überfüllten Sitzungssaal der Bezirksvertretung Südwest in Weitmar, die konkrete Hilfsangebote machen. Christian Anders verweist auf die Facebook-Seite „Sachspenden für die neuen Bochumer“. Gerade erst eingerichtet, haben sich dort bereits etliche Unterstützer gemeldet. Anke Köhler vom CSV SF Linden bietet Hallenzeiten für Freizeitsport an, Friederike Müller könnte sich Begegnungen im Mehrgenerationshaus Dahlhausen vorstellen und Pastor Thomas Köster von der Liebfrauen-Gemeinde Linden fragt: „Was können wir tun?“
Es ist eine Frage stellvertretend für viele, die an diesem Abend applaudieren bei Wortmeldungen, die sich für eine herzliche Aufnahme der Flüchtlinge aussprechen und die auch der Position von Falk Küpper folgen: „Wir sprechen von Asyl als nicht verhandelbarem Menschenrecht.“ Bezirksbürgermeister Marc Gräf (SPD) sagt, er habe den 98 Frauen, Männern und Kindern, die am Mittwochnachmittag in Bochum ankamen, in die Gesichter geschaut.
Ehrenamtliche arbeiten rund um die Uhr
„Und da habe ich panische Angst und Flucht vor Gewalt und Folter erkannt“. Er setzt darauf, dass Bochum und seine Bürger nicht nur eine gelebte Willkommenskultur an den Tag legen, sondern auch gelebte humanitäre Hilfe. So wie es etwa die 30 ehrenamtliche Helfer des Deutschen Roten Kreuzes tun. „Wir sind da und arbeiten rund um die Uhr“, berichtete Einsatzleiter Jörg Balzer und erntet dafür ebenso großen Applaus wie zuvor DRK-Vorstandsmitglied Carl Gerhard Rohm: „Unser Auftrag ist es, humanitäre Hilfe zu leisten, ohne Ansehen der Person.“
Derweil erweist sich der Bezirksbürgermeister auch als Brückenbauer für jene, die zweifeln, die Angst etwa vor der Übertragung von Ebola durch Flüchtlinge aus Afrika haben oder die um ihre Sicherheit fürchten und die fragen, wer sich um ihre Ängste kümmere. „Ich habe auch darauf zu achten, dass die Interessen der Nachbarn Berücksichtigung finden.“
Verstärkte Präsenz der Polizei
Sorgen um Ebola müsse sich niemand machen, versichert Dr. Ingrid Rihs vom Gesundheitsamt. Alle Ankömmlinge würden untersucht, es gebe keinen Verdachtsmoment. Und ansteckend sei Ebola erst, wenn die Krankheit tatsächlich ausgebrochen sei. Abgesehen davon sei unter den Ankömmlingen niemand, der aus einem der derzeit von Ebola betroffenen Länder stamme. Vorschläge nach einer zentralen Anlaufstelle bzw. einer Rufnummer, an die sich Nachbarn wenden können, nahmen die städtischen Vertreter ebenso auf wie die Anregung, etwa über Handzettel die wichtigsten Regeln des Umgangs zu vermitteln.
Für die Polizei versicherte Wolfgang Höfling als Leiter der Wache Linden eine verstärkte Präsenz. Gleichwohl gebe es keinen Anzeichen, die auf einen kriminellen Hintergrund von Flüchtlingen hinwiesen. Es gelte auch, Vertrauen zu gewinnen: „Wir müssen Ansprechpartner für die Asylanten werden.“ In ihren Heimatländern hätten sie zum Teil schlechte Erfahrung mit der Polizei gemacht. Er versicherte: „Wir nehmen die Sorgen der Bürger ernst.“
Sozialdezernentin Britta Anger betonte erneut, dass das Aufnahmelager eine vorübergehende Einrichtung sei. Wie lange es bestehen bleibe, sei aber ungewiss. Zugleich sagte sie: „Dass es im Sudwesten auf Dauer keine Flüchtlingseinrichtung gibt, glaube ich nicht.“ Es ist der einzige Bezirk in der Stadt, der bislang keine Flüchtlinge aufnehmen musste. Gut möglich ist also, dass anstelle des Aufnahmelagers, das als Notmaßnahme auf Wunsch der Bezirksregierung eingerichtet wurde (die WAZ berichtete), auf absehbare Zeit eine Einrichtung entsteht für einen Teil des Bochumer Kontingents, dass das Land nach der Erstaufnahme in die 396 NRW-Städte verteilt.
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Einrichtung der Erstaufnahmestelle nicht seit langem geplant
In der ehemaligen Förderschule an der Leuwacker Straße wird das allerdings nicht sein. Denn die sollte eigentlich im Oktober und November entkernt und dann bis Februar 2015 abgerissen werden. Vor gut einer Woche waren die Gruppen, die den Schulpavillon noch bis kurzem genutzt hatten, davon unterrichtet worden. Unbegründet, so heißt es, sei der Verdacht, die Stadt habe schon lange vorher vom Ansinnen der Bezirksregierung gewusst und die Einrichtung der Erstaufnahmestelle seit langem geplant.
„Wir haben uns erst am Montag zusammengesetzt, nachdem am Freitag die Aufforderung aus Arnsberg gekommen war“, sagt Andreas Grosse-Holz, Leiter der Zentrale Dienste in der Stadtverwaltung. Über sieben Objekte sei nachgedacht worden, drei seien schließlich besichtigt worden. Und dann habe die Antwort auf die Fragen den Ausschlag gegeben, welches Gebäude sofort zur Verfügung stehe, welche baulichen Maßnahmen vorgenommen werden müssen und wie lange dies dauere. 30 ehrenamtliche DRK-Helfer und 80 Handwerker hätten diesen Kraftakt möglich gemacht.