Bochum. Das Handwerk ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und viel fortschriftlicher und innovativer als viele denken. 23.000 Beschäftigte erwirtschaften in 2800 Betrieben einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro.

Die Firmenadresse ist aufschlussreich. Mitten im Technologiepark hat sich Gaedigk Feinmechanik niedergelassen. Der Ort steht für Hightech, für anspruchsvolle Produkte und für Innovation. Passt das zum Handwerk? Zum Meister-Eder-Image bestimmt nicht. „Und davon wollen wir auch weg“, sagt Johannes Motz, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Ruhr. Denn tatsächlich schließen sich Hightech und Handwerk nicht aus.

Im Gegenteil: Ohne die handwerklichen Fähigkeiten seiner Belegschaft könnte Heinz-Jürgen Gaedigk die von seinen Konstrukteuren ersonnenen, einzelangefertigten Spezialprodukte – Montagevorrichtungen und Baugruppen für die Autoindustrie oder die Medizinbranche – allesamt gar nicht herstellen. Ja er selbst wäre kaum in der Lage gewesen, seine Firma zu gründen und Arbeitsplätze zu schaffen, wenn er nicht das Handwerk des Feinmechanikers gelernt und es zum Meister gebracht hätte.

Das ist nur ein Beispiel für die Modernität eines Wirtschaftszweiges, dem immer noch das Image des Überkommenen und Verstaubten anhaftet und dessen größte Herausforderung es für die Zukunft womöglich ist, dieses antiquierte Bild abzustreifen. „Wir müssen uns attraktiv machen für den Wettbewerb um die besten Fachkräfte und dürfen uns nicht hinten anstellen“, sagt Johannes Motz.

Handwerksbetriebe als krisensichere Arbeitsplätze

Dieses Selbstbewusstsein versucht nicht nur er nach draußen zu tragen. Einem Mann wie Johann Philips ist es in die Wiege gelegt. Seit langem steht er als Kreishandwerksmeister an der Spitze des Bochumer Handwerks bzw. seit der Fusion mit dem Ennepe-Ruhr-Kreis 2012 an der Spitze des Kreishandwerkerschaft Ruhr und wird nicht müde, die Vorzüge des Handwerks zu loben: „Kreativität, Vielfalt, Zuverlässigkeit, Innovation und vieles mehr. Das Handwerk hat so vieles zu bieten“, sagt er – und schon beginnen seine Augen zu leuchten und seine Rede in einen nimmermüden Fluss an Argumenten zu fließen. Überhaupt stehe Handwerk für fortwährend Entwicklung und Dynamik.

Im übrigen: „Ohne Handwerk wäre gesellschaftliches Leben kaum möglich“, erinnert Geschäftsführer Motz daran, nur mal an die ersten Gänge am Morgen zu denken. Kein Bad ohne Installateur oder Fliesenleger, kein Brötchen am Frühstückstisch ohne Bäcker, keine Fahrt zur Arbeit ohne die Kenntnisse des Kfz-Mechanikers. „Und, und, und …

Die fortwährende Motorfunktion des Handwerks für die Wirtschaft ist tatsächlich unbestritten – auch in Bochum. Etwa 2800 Betriebe gibt es momentan in der Stadt – mit 23.000 Beschäftigten, darunter 3000 Auszubildenden. Eindrucksvoll ist auch die Wirtschaftskraft. Auf einen Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro kamen Bochums Handwerksbetriebe 2012, die sich seit langem als krisensichere Arbeitgeber erweisen. In den vergangenen 60 Jahren hat sich die Zahl der Beschäftigten trotz diverser Wirtschaftskrisen kaum verändert. Und im Gegensatz zu den großen Konzernen, so Johann Philipps, „bleiben wir auch hier.“ Das Handwerk ist standorttreu.

Viele Betriebe suchen neue Eigner

126 Handwerksberufe gibt es in Deutschland. 50 davon werden in Bochum ausgeübt und gelehrt, in 26 Innungen sind die Firmen organisiert. Eher gering ist die Zahl großer und sehr großer Betriebe, seltener auch die Einmannbetriebe. Die seien, so Philipps, in einigen Bereichen nur schwerlich überlebensfähig. Notdienste, Service etc. ließen sich allein nicht gewährleisten. So beschäftigt das Gros der Unternehmen drei bis sechs Leute. Besonders stark vertreten sind drei Branchen: Elektro- und Metallgewerbe, Bau- und Ausbaugewerbe sowie Dienstleistungen. Die älteste Innung zählt zum Dienstleistungssektor. Vor mehr als 130 Jahren schlossen sich Bochums Friseure zusammen.

So wie die Friseuren, die sie schneiden und legen, sich im Laufe der Zeit zigmal geändert haben, unterliegt das gesamte Handwerk einem fortwährenden Prozess. Stillstand gibt es nicht. Umso mehr ärgern sich die Kammer-Repräsentanten über die eingeengte Sicht auf ihren Wirtschaftszweig. Denn die hat Folgen. Sie erschwert die Nachwuchsgewinnung. Schon jetzt bekämen einige Bereiche die Auswirkungen des demografischen Wandels zu spüren. So ging die Zahl der Neuabschlüsse von Ausbildungsverträgen 2013 gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent auf 545 zurück. Eine alarmierende Entwicklung.

Und sie beeinflusst womöglich auch die zweite große Baustelle der Kreishandwerkerschaft, den Betriebsübergang aus Altersgründen. „Ich weiß das steht in nächster Zeit bei zahlreichen Bochumer Firmen an“, sagt Johann Phillips. Und nicht immer gibt es in der Familie Nachfolger, die geeignet oder gewillt sind, Vaters oder Mutters Betrieb weiter zu führen. Genaue Zahlen für die Stadt gibt es nicht. Aber in NRW werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren Nachfolger für etwa 20.000 Unternehmen gesucht.

Nach der Gewinnung von Nachwuchskräften sei das das zweitwichtigste Thema. „Wir müssen Menschen für das Unternehmertum begeistern“, so Phillips. Die jetzigen Firmeninhaber müssten aber auch einen realistischen Blick auf den Wert ihres Betriebs werfen. Weil sie nicht loslassen können, aber vor allem auch weil die Preisvorstellungen zu weit auseinander gingen, hätte schon so mancher Inhaber den richtigen Zeitpunkt für die Übergabe verpasst. Das endet nicht selten in Betriebsaufgabe oder in Insolvenz. Dagegen steuert die Kreishandwerkerschaft Bochum zusammen mit Stadt und Wirtschaftsförderung unter anderem mit dem Projekt „Bochum 2015“. Mit ihm soll die Bereitschaft zur Selbstständigkeit gestärkt werden.

Aushängeschild ist die Akademie

Das Aushängeschild der Kreishandwerkerschaft Ruhr ist die Akademie an der Springorumallee. Am 1. Oktober 2001 wurde der Komplex auf einem 20 126 Quadratmeter großen Gelände eröffnet. Etwa 21 Millionen Euro hat die Kreishandwerkerschaft dort zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Bundesinstitut für Berufsbildung, dem Ministeriums für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Europäischen Union dort investiert. 18 Innovations- und Technologiewerkstätten gibt es in der Akademie mit ihren 304 Werkstatt- und 188 Theorieplätzen. Etwa 5000 Beschäftigte werden dort jährlich aus- und weitergebildet.

Die fusionierte Kreishandwerkerschaft Ruhr mit ihren 5770 Mitgliedsunternehmen ist seit dem 1. April 2012 Sprachrohr und Interessenvertretung für insgesamt 39 Fachinnungen mit dem Einzugsbereich Bochum, Breckerfeld, Ennepetal, Gevelsberg, Herdecke, Hattingen, Schwelm, Sprockhövel, Wetter und Witten.