Bochum/Leipzig. . Die Stadt Bochum muss zwei alte Damen einbürgern, obwohl sie nach über 20 Jahren in Deutschland die Sprache nicht gelernt haben. Das Bundesverwaltungsgericht entschied für die Iranerin und die Türkin, die argumentierten, dass sie zu krank und zu alt seien.
Die eine Dame ist 75 Jahre alt, die andere nur ein Jahr jünger – seit über zwanzig Jahren leben Parvin H. aus dem Iran und Latife S. aus der Türkei nun in Deutschland, und schon lange wollen die beiden auch Staatsbürgerinnen werden. Nur Deutsch sprechen sie leider nicht. Darum lehnte die Stadt Bochum im Jahr 2008 die Anträge der Asylberechtigten auf Einbürgerung ab. Am Donnerstag nun, sechs Jahre und drei Instanzen später, haben Parvin H. und Latife S. ihr Ziel erreicht: Die Stadt Bochum muss die Frauen einbürgern, urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – ob sie nun Deutsch sprechen oder nicht.
Eigentlich sind Sprachkenntnisse unbedingt erforderlich, um als Ausländer einen deutschen Pass erhalten zu können. Aber nur eigentlich, denn wer zu alt oder krank oder behindert ist, muss trotzdem eingebürgert werden. Man stelle sich vor, erläuterte der Vorsitzende Richter Uwe-Dietmar Berlit, da erleide jemand einen Sportunfall und könne nicht mehr sprechen. Dann könne er beim besten Willen auch nicht mehr Deutsch lernen.
Die Stadt Bochum kennt diese Klausel natürlich auch. Sie argumentierte aber stets, die beiden Frauen hätten bereits genügend Zeit gehabt, Deutsch zu lernen. Klammer auf: bevor sie zu alt und krank wurden, Klammer zu. Um die Voraussetzung zu erfüllen, genügt meist eine Bescheinigung etwa der Volkshochschule; manchmal müssen die Bewerber auch zeigen, dass sie einen Zeitungsartikel verstehen. Die Iranerin Parvin H. lebt immerhin seit 1988 in der Bundesrepublik, die Türkin Latife S. seit 1992.
Blick zurück laut Senat nicht statthaft
Die Stadt scheiterte mit dieser Auffassung schon beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Januar 2010 und zwei Jahre später beim Oberverwaltungsgericht Münster. In der mündlichen Verhandlung am Donnerstag forderte Bochums Rechtsvertreter erneut, dass Versäumnisse aus der Vergangenheit berücksichtigt werden müssten. Ohne Erfolg.
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Der Blick zurück, begründete der zehnte Senat in Leipzig, sei nicht statthaft. Es komme „nur auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag an. Ob der Ausländer in der Vergangenheit ausreichende Sprachkenntnisse hätte erwerben können, ist auch nach der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift ohne Bedeutung.“
Und als sie 2008 den Antrag stellten, waren die Damen eben nicht mehr in der Lage, Deutsch zu lernen. Im Fall der 1939 geborenen Iranerin Parvin H. war ausschlaggebend, dass sie wegen ihres Alters und einer Behinderung mit einem Grad von 70 Prozent nicht in der Lage sei, eine Schule zu besuchen. Bei der 1940 geborenen Türkin Latife S. führten zahlreiche Erkrankungen und ebenfalls das hohe Alter zu dieser Einschätzung. Ansonsten erfüllten die beiden alle anderen Einbürgerungsvoraussetzungen; also entschieden die fünf Richter in Leipzig, dass sie einzubürgern seien.
Etliche ähnliche Fälle in Bochum
Die beiden höchstrichterlichen Urteile aus Leipzig werden nicht ohne Folgewirkung bleiben. Allein in Bochum sind derzeit über 15 ähnliche Fälle zu entscheiden – darauf hatte eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung während der mündlichen Verhandlung in Leipzig hingewiesen. Fälle also, in denen Ausländer einen deutschen Pass erhalten wollen, ohne die deutsche Sprache zu beherrschen, und ohne Aussicht, diese noch zu lernen.