Bochum.
In der Manege ist’s wie in der Partnerschaft. Mal wird gekuschelt und geherzt. Mal guckt einer den anderen mit dem Hinterteil nicht an. Tom Dieck jun. hat am Freitag Glück. Seine launischen Raubtiere sind auf Schmusekurs. 20 Leser sind Zeugen, wie der Trainer mit den Löwen, Tigern und Ligern harmoniert; wie sich Mensch und Tier scheinbar grenzenlos vertrauen.
Wildtiere im Zirkus: Das ist für Tierschützer ein rotes Tuch. Seit Mittwoch gastiert der Zirkus Charles Knie auf dem Kirmesplatz an der Castroper Straße. Seither protestieren Aktivisten u.a. der Tierrechtsorganisation Peta gegen „fortwährende Misshandlungen“. Für das Vergnügen der Menschen, so heißt es, müssten die Tiere ein Leben in Gefangenschaft fristen.
20 Leserinnen und Leser konnten sich gestern ein eigenes Bild machen. Exklusiv für unsere Zeitung führte Tom Dieck jun., Raubtierlehrer in dritter Generation, eine Probe durch. Für die WAZ-Gruppe waren die Logenplätze direkt am Schutzgitter reserviert. Hautnaher kann Zirkus nicht sein.
Tiere parieren aufs Wort
„Good boys, good girls!“ Auf Englisch, mal ruhig und sanft, mal laut und bestimmt, gibt der 31-Jährige seine Anweisungen. Die zwei prachtvollen weißen Löwen, die drei Königstiger und die beiden Liger (Paarung von Löwe und Tiger) parieren aufs Wort, fügen sich zu einer Pyramide, tippeln auf den Hinterbeinen, bewegen ein Rad. Die Übung, die am einfachsten aussieht, ist die schwierigste: Die Tiger wälzen sich in der Manege. „Dabei geben sie den Bauch frei, sind für Sekunden schutzlos. Sie dazu zu bringen, dauert allein gut zwei Jahre“, erklärt Tom Dieck jun.
Fasziniert verfolgen die WAZ-Leser das 30-minütige Training. Der erste Eindruck wird alsbald zur Überzeugung: Der Dompteur und seine Raubtiergruppe sind nach Jahren zu einer Einheit zusammengewachsen. „Ich lebe von, aber vor allem für meine Tiere, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr“, entgegnet Tom Dieck jun. den Kritikern. Und was man so liebt und schätzt, behandele man auch würdevoll.
Bei allem Vertrauen: Die Gefahr ist allgegenwärtig, lebensbedrohlich, unberechenbar. Von sich aus würde keines der Tiere angreifen,versichert Dieck., der seit 20 Jahren in der Manege steht. In all der langen Zeit sei noch nie etwas passiert. Doch ein Stolpern, ein Sturz reicht, und binnen Sekunden wird der auf dem Boden liegende Trainer zur Beute für die Raubtiere.
Den WAZ-Lesern fröstelt’s.
Proteste gegen Tierhaltung
Proteste von Tierschützern begleiten seit Mittwoch das Gastspiel des Zirkus Charles Knie auf dem Kirmesplatz an der Castroper Straße.
Mit Transparenten („Tiere sind keine Ware“) demonstrieren täglich rund 50 Aktivisten dagegen, dass der Zirkus 100 Tiere präsentiert. „Diese Tiere können ihre angeborenen Verhaltensweisen kaum ausleben“, heißt es auf Flugblättern. Die Tiere würden „in der Gefangenschaft ihrer Freiheit, Selbstbestimmung und Würde“ beraubt. Die gesetzlichen Vorgaben für die Tierhaltung seien „völlig unzureichend“ und würden nur von wenigen Unternehmen eingehalten.
„Die Proteste begegnen uns in jeder Stadt“, schildert Zirkussprecher Patrick Adolph. Dabei lege der Zirkus Charles Knie „größten Wert auf eine artgerechte Haltung. Wir gastieren jährlich in 50 Städten. Die Überprüfungen der örtlichen Behörden bescheinigen uns regelmäßig, dass wir die gesetzlichen Vorgaben mehr als erfüllen.“
Einen positiven Eindruck gewannen auch die 20 WAZ-Leser, die sich nach der Raubtierprobe am Freitag (Bericht oben) die Stallungen anschauen konnten. Einhelliger Tenor: Man mag über die Haltung von Tieren abseits ihres angestammten Lebensraumes diskutieren. Gerade in kleineren Zirkussen mögen beklagenswerte Zustände herrschen. „Hier jedoch“, so WAZ-Leser Jürgen Hoppe, „haben die Tierschützer keinerlei Anlass, Randale zu schlagen.“
Die - sehenswerten - Vorstellungen des Zirkus Knie beginnen am Samstag um 15.30 und 19.30 Uhr, am Sonntag um 11 und 15.30 Uhr und zum Abschluss am Montag um 15.30 Uhr.