Bochum. Wenn ältere Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen, entsteht nicht selten eine schwer zu füllende Informationslücke. Noch zu wenige Unternehmen kümmern sich offenbar um diese Problematik. Sie müssen herausfinden, wer wichtiges Wissen besitzt und dann die Weitergabe organisieren.

Geschäftsführer A. geht in den Ruhestand, Facharbeiter B. ist nach einem Unfall berufsunfähig, Sekretärin C. kündigt und zieht weg. Solche und ähnliche Szenarien können ein Unternehmen plötzlich ins Schwimmen bringen. Mit dem Personal geht auch Wissen verloren. Wissen, das andere Mitarbeiter nicht haben – weil es nicht rechtzeitig weitergegeben wurde. Der mangelnde Wissenstransfer ist ein immenses Problem für Wirtschaft und Verwaltung. „Und es wird in nächster Zeit noch drängender werden“, sagt Prof. Heiner Minssen vom Institut für Arbeitswissenschaft an der Ruhr-Universität.

Vielen Unternehmen selbst mangele es dabei offenbar noch an der Problemerkennung. „Sie rennen uns nicht gerade die Bude ein“, so Minssen; was angesichts des seit Jahren bekannten demografischen Wandels bei ihm Kopfschütteln hervorruft. Und auch die entsprechenden Seminarangebote der IHK Mittleres Ruhrgebiet haben bislang ein eher bescheidenes Echo in Unternehmerkreisen hervorgerufen. So kommt es, dass angefangen von verlegten Telefonlisten mit Daten von Lieferanten bis zu Prozessabläufen bei der Produktion plötzlich wichtige Informationen fehlen, wenn Mitarbeiter aus Altersgründen ihren Arbeitgeber verlassen. Das führe mitunter sogar dazu, so Prof. Minssen, dass sie später wieder als Berater engagiert werden.

Wissen ist ein Wettbewerbsfaktor

Dass Unternehmen bisweilen die Altersstruktur ihrer eigenen Belegschaft nicht im Auge haben, sei ein Teil des Problems, sagt der Arbeitswissenschaftler. Sie haben offenbar nicht erkannt, dass „die Bildung altersgemischter Teams, in denen ältere Mitarbeiter ihre Fähigkeiten einbringen können, gerade in der Wissensökonomie zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor für Unternehmen werden können“, wie es in einer Veröffentlichung des Bundesministerium für Arbeit und Soziales heißt.

Am Lehrstuhl für Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung der RUB wurde schon vor einigen Jahren in einem dreijährigen Projekt erarbeitet, wie der Transfer von Wissen am besten erfolgen kann. Eine Struktur ist dabei wichtig. Denn: „Transferprozesse machen nur dann Sinn, wenn tatsächlich Know-how unverzichtbar ist“, sagt Sozialwissenschaftler und Personalberater Rüdiger Piorr. Der Bochumer ist Mitinhaber der Agentur „bkp“ und hat vor Jahren am RUB-Projekt mitgearbeitet. Eine der Erkenntnisse von damals ist: Durchschnittlich nur etwa 15 Prozent des Mitarbeiterwissens sind unverzichtbar.

Wichtig für kleine und mittlere Unternehmen

Die aber müssen identifiziert werden. Und das ist nicht immer ganz einfach. Denn: „Leute, die ihr Wissen weitergeben sollen, wissen häufig gar nicht was sie wissen“, so Prof. Minssen. Vor dem Transfer muss daher erst einmal der „Wissensgeber“ für das Thema sensibilisiert werden. Das ist Teil des in dem RUB-Projekt entwickelten Konzepts Nova PE – einer intergenerativen Wissenstransfer-Systematik – das die effiziente Weitergabe relevanten Wissens von älteren zu jüngeren Mitarbeitern ermöglichen soll. Entwickelt wurde es von 2005 bis 2007 durch Mittel des europäischen Sozialfonds mit 14 kleinen und mittleren Unternehmen.

Genutzt werden kann es für Unternehmen unterschiedlicher Größe. Aber „gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist der Erhalt und die Weitergabe ihres Know-hows von ganz entscheidender Bedeutung“, heißt es in einer Veröffentlichung des RUB-Lehrstuhls.

Masterarbeit zu vergeben

Noch kümmern sich offenbar zu wenige Firmen um den intergenerativen Wissenstransfer. Immerhin scheint aber allmählich das Problembewusstsein zu wachsen. 70 Unternehmen haben Rüdiger Piorr und sein Agentur „bkp Team“ in den vergangenen Jahren in dieser Sache betreut.

Vor allem große Unternehmen, „weil dort jemand für strategische Personalentwicklung zuständig ist.“ Aber auch innovative Mittelständler hätten sich mit dem Thema befasst. Das RUB-Institut hat jüngst eine Anfrage eines Logistikers aus Dortmund erhalten, der sich mit dem Thema Wissenstransfer beschäftigt. Außerdem wird eine Masterarbeit zu dem Thema am Beispiel einer IT-Firma aus der Region mit 30 Beschäftigten vergeben.

Das Wissen soll nicht in Rente gehen

Derweil arbeitet „bkp“ daran, „zu vermitteln, dass Wissen als zentrale Ressource verstanden wird, und zwar die stärkste, über die wir verfügen“, so Rüdiger Piorr.

Analyse: Welches Wissen ist wichtig?

Die Liste der Nova.PE-Anwender ist lang. Sie reicht vom Energie-Riesen RWE über die Arbeiterwohlfahrt bis zum Essener Nahverkehrsunternehmen Evag.

Gerade in Betrieben, die ihre Belegschaft durch Frühverrentung verjüngt haben, besteht nach Einschätzung von „bkp“ das Risiko, „wesentliche Erfahrungen in Bezug auf Produkte, Kunden und Prozesse zu verlieren“.

Zur Analyse gehören Einschätzungen, welches Wissen ein ausscheidende Mitarbeiter mitnimmt, was ihn unverzichtbar macht und was eine Führungskraft gesichert wissen möchte.

Auch die Stadtverwaltung Bochum hat das drängende Thema Wissenstransfer mittlerweile im Blick. Denn: Bis 2019 erreichen mehr als 550 der momentan 6200 Beschäftigten die Altersgrenze und scheiden aus dem Dienst aus, darunter sind mehr als 60 Führungskräfte. Eine zwölfköpfige Projektgruppe hat sich in den vergangenen Monaten mit der Frage von Wissensbewahrung und -transfer beschäftigt und dazu einen Leitfaden entwickelt. Schließlich soll zwar das Personal, aber nicht das Wissen in Rente gehen.