Bochum. Joachim Nettelbeck gilt als der dienstälteste Wirt Bochums. Seit 1961 führt er das Gasthaus Nettelbeck in Stiepel. In diesen Tagen feierte er seinen 70. Geburtstag. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht: „Das geht doch dar nicht.“

„Was meinst du: Soll ich eine Kneipe aufmachen?“ Es ist Mitte der 60er Jahre, als Lieselotte ihren Freund Joachim in dessen Gasthaus Nettelbeck um Rat fragt. „Mach doch!“, sagt Joachim. „Mach ich!“, sagt Lieselotte. Sie ist 30, er Anfang 20. Legenden sind sie beide geworden: Lis Schrecker als unvergessene Seele der Kult-Kneipe Hufeisen am Hellweg, die sie 1967 eröffnete und bis zu ihrem Tod 2011 führte. Joachim Nettelbeck als Stiepeler Institution – und Bochums wohl dienstältester Wirt.

„Ich bin der Achim. Willste ‘ne Rinderbrühe?“ Herzlich, familiär, rustikal: So wie sein Lokal ist der Chef. Das Du ist ebenso Standard wie der persönliche Handschlag zur Begrüßung und zum Abschied. So, genau so, muss es in einem gutbürgerlichen Gasthaus zugehen. So, genau so, muss es dort aussehen. So, genau so, muss der Wirt sein. „Du brauchst weder Arzt noch Apotheke, stehst du bei Achim an der Theke“, lautet einer der hölzernen Sprüche am Tresen, hier, am „Stammplatz für Sportler, Jäger und andere Lügner“.

Ein Leben zwischen Pils und Pilzen

Die Gaststätte atmet Tradition, ist ein Stück Stiepel. 1875 von Joachims Urgroßvater Heinrich Nettelbeck gegründet, wechselt der Opa (ebenfalls ein Heinrich) mit dem Landgasthof 1990 auf die andere Straßenseite Am Vahrenholt und gliedert eine Bäckerei an. 1959 übernimmt Vater Werner Wilhelm die Geschäfte. Er stirbt früh mit Anfang 50. Sohn Joachim, der soeben seine Kaufmannslehre im Kaufhaus Hill angetreten hat, nimmt 1961 Vaters Platz ein. Ein Jungsporn, gerade mal 17 Jahre.

53 Jahre später ist „der Achim“ noch immer da. Gut in Schuss. Gut gelaunt. Stets freundlich zu seinen Gästen. Auch mit 70 (vorletzte Woche feierte er Geburtstag) kein bisschen amtsmüde. Existenzielle Nöte habe es nie gegeben, erzählt er. Es wird zwar weniger getrunken als früher („Als ich anfing, lag die Promillegrenze noch bei 1,8!“), dafür mehr gegessen (Renner auf der Speisekarte: Schnitzel Försterin). Und die Doppelkopf- und Skatspieler halten Nettelbeck ebenso die Treue wie der Tauben-, Schützen-, Heimat- und Knappenverein.

"Dieses Haus ist mein Leben"

Über ein halbes Jahrhundert an einem Ort, zwischen Pils und Pilzen: Hat man das Gefühl, etwas verpasst zu haben? „Freundschaften und Hobbys bleiben auf der Strecke“, sagt Joachim Nettelbeck. Aber: „Dieses Haus ist mein Leben. Ich bin glücklich. Ich mache es noch immer so gerne wie am ersten Tag.“ Auszeiten gönnt er sich gleichwohl: Zweimal im Jahr geht’s mit Ehefrau Bärbel in den Urlaub.

Ans Aufhören denkt Nettelbeck nicht. „Das geht doch gar nicht“, sagt er und lacht. Seine Freundin hat’s ihm vorgemacht: Lis stand noch mit 77 hinterm Tresen.