Bochum. . Ein Besuch beim Training der Urbanatix, die in Bochum ihre neue Show „sub:City“ vorbereiten: Junge Artisten überwinden Höhen, springen durch die Luft, klettern Wände empor und fallen in die Tiefe, als würden sie nie etwas anderes machen. Da bleibt einem schon beim Zuschauen die Luft weg.
Dreimeterzwanzig, das ist doch keine Höhe, hahaha, das ist doch was für Anfänger, haha, das mache ich doch mit Links, ha. Zwei Minuten später sieht die Welt ganz anders aus. Dreimeterzwanzig sind ein verdammter Abgrund, wenn man zum ersten Mal da oben steht, wenn die Zehen sich am liebsten festkrallen wollen an der Kante der Trampolinwand. Es fühlt sich ein bisschen so an wie die kurze Entfernung zwischen glücklichem Weiterleben und Genickbruch. Selbst wenn da unten kein harter Boden wartet, sondern ein Netz. Dreimeterzwanzig? Sollen doch die anderen springen.
Und das tun sie, lassen sich rücklings fallen, als wäre es gar nichts, prallen auf Maschen, die sich dehnen bis die Federn leicht ächzen, schnellen sofort wieder empor – und stehen auf der Kante, als wäre nichts passiert. Schlimmer noch! Der nächste setzt beim Hochschnellen seine Finger auf die Kante und geht in den Handstand, einfach so, fällt, schnellt wieder empor, scheint diese ehrfurchtgebietenden Dreimeterzwanzig hinaufzulaufen, als gäbe es keine Schwerkraft mehr.
Überwindung pur
Als jemand, der gerade gekniffen hat, der sich einfach nicht traut, kommt man sich jetzt ganz schön mickrig vor. Aber hey, wir sind hier beim Training der Urbanatix, das sind nicht irgendwelche Kids von der Straße, sondern ganz besondere Kids von der Straße, echte Straßenartisten eben, die sich hier im Turnzentrum Bochum gerade auf die neue Show „sub:City“ vorbereiten.
Spektakuläre Stunts
Vielleicht ist es ja anderen genau so ergangen wie mir gerade? „Vor der Höhe der Wand hat man ziemlich viel Respekt“, sagt Anna Stambulaches, 17 und Schülerin, die zum ersten Mal bei den Urbanatix dabei ist. „Am Anfang habe ich mich auch oft nicht getraut, da brauchte ich die Hilfe der anderen, die mich motiviert haben. Denn die drei Meter auf dem Rücken runterzuspringen, das ist echt Überwindung pur.“ Dass es heute so leicht aussieht, wie sie da rauf- und runtersaust, hat sie viel Arbeit gekostet. Turnerin war sie schon vorher, hier im Turnzentrum, trotzdem musste sie in den Sommerferien fast jeden Tag mit Freunden trainieren, um die Techniken zu erlernen – und auch sie ist noch nicht am Ende.
Autsch! Knie trifft auf Schläfe
„Momentan arbeiten wir noch an einigen Tricks, danach geht es in die Choreografie“, sagt Besnik Selimaj (27). Er bringt den Artisten die Trampolin-Kunststücke ebenso bei wie das Tricking. Letzteres stammt ursprünglich aus dem Kampfsport, bevor es sich verselbstständigte. Die Kämpfer versuchten mit den Tricks, ihren Kämpfen eine ästhetische Note zu geben. Quasi als Kür zu einem gelungenen Schlagabtausch.
Auch Selimaj hat mit Kampfsport angefangen. „Irgendwann habe ich begonnen, auch akrobatische Elemente in meine Kampfsport-Fähigkeiten einzubauen. Da geht es nicht um die Effizienz und die Selbstverteidigung, sondern es soll schön aussehen, es soll ästhetisch was hermachen“, sagt er. Wahrscheinlich kann er auch nur wegen seiner Kampfsport-Erfahrung noch so gewinnend lächeln. Weil er dort nämlich gelernt hat, ordentlich etwas einzustecken. Denn es ist noch keine fünf Minuten her, da wäre er fast K.O. gegangen.
„Du hast mich fast ausgeknockt"
Es war ein Trick, der schon zigmal an diesem Tag gutgegangen ist: Selimaj hält dem Artisten eine Art Räuberleiter – und aus dieser Position versucht sein Partner einen Salto rückwärts. Der Mann schnellt hoch, stößt sich ab, dann gleitet ein Knie zur Seite, wie in Zeitlupe sieht man, wie dem Trainer das Knie gegen die Schläfe gestoßen wird. „Alter, du hast mich fast ausgeknockt. Wie in einem Action-Film“, stößt Selimaj im ersten Moment aus.
Der Körpereinsatz geht bei den Urbanatix eben sehr weit, das sieht man auch am voll austrainierten Körper von Selimaj, dessen Sixpack deutlich erkennbar ist, aber nicht zu aufdringlich wirkt, dessen Bizeps zwar hübsch prall, aber immer noch ästhetisch aussieht. Er war seit der ersten Stunde bei den Urbanatix, damals 2009, und hat ständig hinzugelernt.
Beinahe so wie Spiderman – doch bei der Show ohne Netz
Vielseitigkeit ist überhaupt sehr wichtig für die Street-Styles, die der Show das Besondere geben. „Die Akteure bei Urbanatix kommen aus den verschiedensten Bereichen. Wir haben Tricker, Traceure, Freerunner, Biker, Beatboxer und Tänzer natürlich auch“, sagt Selimaj. Wenn sie jetzt ein oder zwei Begriffe nicht verstanden haben sollten: Traceure kommen aus dem Hindernistraining namens Parkour. Das wiederum ist mit dem Freerunning verwandt. Und in beiden Disziplinen versuchen die Artisten, sich möglichst effizient durch den städtischen Raum zu bewegen, durch Klettern, Springen, Schwingen und zig andere Bewegungen, beinahe so wie Spiderman – nur ohne Netz. Es geht darum, städtische Flächen und Gebäude als Bewegungsraum zu erobern.
Und darum geht es auch in der neuen Show der Urbanatix. Sie trägt den Titel „sub:City“ und wird in den U-Bahn-Schächten unter dem Revier spielen. Dank Videoprojektionen wird die Illusion entstehen, dass der Untergrund lebt, dass er sich bewegt. Weshalb die Choreografie bis auf die Sekunde genau mit den Videos übereinstimmen muss.
„Zwei Wochen vor der Premiere werden wir umziehen in die Jahrhunderthalle, wo ja auch die Shows stattfinden. Denn dann muss alles ganz genau sitzen“, sagt Selimaj. Die Halle bietet mit ihrer rohen Industriearchitektur an sich schon eine faszinierende Kulisse. Und was im Turnzentrum mit acht Artisten beeindruckend ist, wird mit den 50 bis 60 Artisten in der Show und bei vollem Bühnenbild atemberaubend. Zumal noch einige internationale Vollprofis hinzustoßen, viele mit etablierten Shows und „Cirque Du Soleil“-Erfahrung. Viele sind allerdings auch sehr begabte Schüler, Studenten, Azubis, alle mit Erfahrung im Turnen und anderen Disziplinen, die in dieser Show ihre große Leidenschaft gefunden haben. Und alle kommen aus NRW.
So auch Anna Stambulaches, die sehr glücklich lächelt, wenn sie an ihren Auftritt denkt. „Es war immer der größte Traum von mir, hier mitzumachen. Und den lebe ich jetzt im Moment“, sagt sie, geht weg – und macht noch ein paar Sprünge von der Trampolinwand hinab, Dreimeterzwanzig, ins bedrohliche Netz, ganz tief dort unten.
Die Urbanatix – wann und wo?
- Die neue Urbanatix-Show „sub:City“ zeigt wieder Street-Art auf höchstem artistischen Niveau. Sie feiert am
15. November Premiere in der Bochumer Jahrhunderthalle. Die Show läuft nur kurze Zeit, täglich bis zum 24. November, teils mit mehreren Shows hintereinander. - Karten (ab 26,50 € zzgl. Vorverkaufsgebühr) gibt es in unseren Leserläden (derwesten.de/vvk), unter der Telefonnummer 0201/804-6060 und unter www.ruhrticket.de
Urbanatix Street Art