Bochum. .

„Was! Du wohnst in Hamme? Um Gotteswillen, ich fass es nicht!“ Solche und ähnliche Ausrufe des nackten Entsetzens kennt Ulrike Röser zur Genüge, wenn sie sich als Hammerin outet. Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern wohnt sie nur einen Steinwurf entfernt von der Wohnung, in der sie als Kind aufgewachsen ist. Nur einen halben Steinwurf entfernt (wenn dieses Bild erlaubt ist) steht die Feldsieper-Schule. Dort verbrachte sie ihre Grundschulzeit – genau wie ihre Kinder. „Warum sollte ich hier wegziehen?!“, ruft sie selbstbewusst aus und lädt ein zum Spaziergang, der ein wenig aufräumen soll mit den gängigen, tristen Abziehbildern eines Stadtteils im Niedergang.

Es öffnet sich eine verborgene Welt, abseits von den Klischees der maroden Vorstadt, die eigentlich nur einig sei in ihrem Widerstand gegen die Deponie Marbach, und wo sonst das Leben wenig lebenswert erscheint. Da lockt nur ein paar Schritte entfernt vom Bahnhof – ja, Hamme kann einen eigenen Bahnhof sein eigen nennen, da können nur äußerst wenige Bochumer Stadtteile mithalten – der alte Friedhof an der Wanner Straße. Heute bietet er sich mit seinem alten Baumbestand für einen schattigen Spaziergang an.

Bänke laden zum Dorfklatsch ein

Ulrike Röser zählt sie auf, einige der Vorteile des Lebens in Hamme: „Zu Bochum Total können wir laufen, überhaupt zu Veranstaltungen in der Stadt ist es sehr nah.“ Immer wieder begrüßt sie bei unserem Rundgang Bekannte, Freunde, die sie zum Teil schon seit Jahrzehnten kennt. Kein Wunder, hat sie doch einst ganz in der Nähe im Kindergarten gearbeitet. Jetzt betreut sie in der Familienbildungsstätte eine Spielgruppe. Neulich grüßte sie dort sogar eine junge Mutter, die sie vor vielen Jahren als Kindergartenkind betreute.

Allen Vorurteilen zum Trotz. Zwischen den Straßenfluchten findet derjenige, der sich auskennt, überall kleine Parks, Bänke laden zum Dorfklatsch ein. Viele Dinge hätten sich zum Guten verändert, wie das Beispiel Bürgerplatz zeige oder auch zum Schlechten, „es gibt hier im Viertel kaum noch eine Gaststätte, wo man hingehen kann.“ Dabei gab es früher Szene-Kneipen, wie etwa den Kaiser-Wilhelm-Pub (Schmechtingstraße/Hofsteder Straße). Hier sollen Jochen Malmsheimer/Frank Goosen frühe Tresenleser-Auftritte gehabt haben.

Vertrauter Stadtteil

Gleich nebenan findet sich die Gaststätte „Zu den vier Winden“, beliebter Treffpunkt der Anhänger von Phantasiewelten und Rollenspielen. Sie erlangte vor einiger Zeit traurige Berühmtheit, weil dort ein Rollenspielfreund durch einen Schwerthieb schlimme Kopfverletzungen davon getragen hatte. Dem Mann soll es jedoch wieder deutlich besser gehen.

Jedenfalls: „Für mich ist es schön, einfach ‘rauszugehen und sich gut auszukennen“, erzählt Julrike Röser. Vor allem für die Kinder sei es toll, die kennt hier jeder und die kennen sich aus. Außerdem, so erzählen sich die Menschen zwischen Dorstener und Herner Straße, der Speckschweiz eben, hat das Quartier Charme. Ein Makler berichtete vor einiger Zeit gar, hier entwickele sich ein hippes Viertel mit Zukunft.

Für Menschen wie Ulrike Röser ist das keine Überraschung. Den Drang zum Ortswechsel, das unruhige Veränderungs-Gen - getrieben hat sie das in ihrem Leben nie und bereut hat sich das auch nicht.