Hamme. .

Die Speckschweiz - ein innenstadtnahes Viertel: Kneipensterben, Leerstände - kein Stadtumbaubüro, kein Kreativviertel, nirgends. Nichts los, trostlos? Ganz und gar nicht. Guy Dermossessian will beweisen, was alles in Hamme steckt - und es sieht so aus, als werde sein „Rundlauf“ vom 30. April bis 5. Mai (ein Festival für Kunst, Tanz, Film, Theater und Party) bisher Ungeahntes bergen.

Was treibt den Mann an? Warum die Speckschweiz? „Ich bin gegen Festivals, die etwas Märchenhaftes aufbauen, dann einfach wieder verschwinden. Es gibt Stadtteile in Bochum, die sind übersättigt mit Kultur, die werden genug bespielt.“ Er will schauen, wie ein Stadtteil „auf sowas reagiert“. Im Vorjahr im Griesenbruch, rund um den Springerplatz, hat er damit so seine Erfahrungen gemacht. Da zogen die Nachbarn einfach mal die Stecker mit der Begründung: „Das können Sie hier nicht einfach so machen!“ Dermossessian lernte daraus - und ist in seinem neuen Kiez schon seit Herbst im Gespräch mit den Leuten. Er lud per Handzettel ein, traf Lokalpolitik und Vereine, klingelte einfach mal an, sprach Leute auf der Straße an. Jetzt kann er auf ein spektakuläres Programm blicken: 200 Veranstaltungen von 80 teils internationalen Künstlern in 20 Spielorten. Im Hochbunker an der Haldenstraße, in leeren Wohnungen auf der Dorstener, der Schmechtingstraße, der Josephstraße, in alten Ladenlokalen, in einem Kiosk, auf zwei öffentlichen Plätzen, in Innenhöfen, Kellern und verlassenen Häusern (Wegescheid 12) - und in der aufgegebenen Kneipe „Haus Steden“.

„Wir nutzen die vorhandene Infrastruktur, nichts anderes“. Viele Anwohner hätten ihrerseits auch schon nicht-offizielle Teilnahme angekündigt: „Die wollen dann ein paar Würstchen grillen“, lacht Dermossessian.

Der vollbärtige DJ und Kulturinitiator berichtet durchaus auch von Skepsis. Doch meistens habe sich diese aufgelöst, als klar wurde, dass keinerlei kommerzielle Interessen dahinter stecken.

Überhaupt: das Geld. „Wir haben 11 000 Euro von Sponsoren und Stadt“, sagt der Macher. Ein vergleichsweise lächerlicher Betrag für solch ein Festival - wichtiger sei die Hilfe bei bürokratischen Problemen gewesen. Gestemmt wird der Großteil der Organisation von einem sechsköpfigen Team. Das Programm (die WAZ stellt es in den nächsten Tagen im Kulturteil vor) habe sich dabei wie von selbst zusammengestellt. Oftmals nutzen die Kulturschaffenden dabei den vorhandenen Raum - und beziehen sich explizit darauf.

Sylvie Fadenhaft etwa ist im Ladenlokal Schmechtingstraße 38 zu treffen. Textilwaren Feldhaus war hier beheimatet. Ein Traditionsgeschäft. Viele Schubladen, vermutlich für Knöpfe, Garn und Kordeln, ein Spiegel, altes Mobiliar, sogar Auftragsbücher, die bis ins Jahr 1905 zurückreichen, fand sie hier vor. Für den Rundlauf belebt die gelernte Näherin das Geschäft wieder, stellt eigene Kostümentwürfe im Schaufenster aus, näht im Laden, will mit Besuchern ins Gespräch kommen. „Fadenhaft Feldhaus“ heißt ihr Projekt. Und gleich nebenan wird Theater gespielt werden. Annelly Kozuschek richtet derzeit eine Kulissen-Wohnung her. Die Speckschweiz lebt.