Bochum. . Ärzte, Pfleger und Seelsorger kümmern sich im Hospiz St. Hildegard um sterbenskranke Menschen. Die Patienten dürfen bis zum Tod bei sich selber bleiben. Das Palliativnetz Bochum betreute in diesem Jahr rund 1400 Menschen.

Über ihrem Bett hängt ein großer Traumfänger. Das Netz mit Federschmuck von den Indianern soll böse Träume von den Schlafenden fernhalten. „Ich wollte immer gerne im Bett sterben, von jetzt auf gleich, wie viele Menschen“, sagt Barbara C. (Name von der Redaktion geändert). Doch es kam anders. Seit dem 24. August 2009 lebt die 51-Jährige Bochumerin mit Lungenkrebs. Die letzten Wochen wohnt sie nun schon im Hospiz St. Hildegard an der Königsallee.

Nach zwei Chemotherapien und vier Bestrahlungen musste Barbara C. dem Unausweichlichen ins Auge blicken. Im Mai 2011 verkündeten ihr die Ärzte, es wäre fast ein Wunder, wenn sie Weihnachten noch erlebte. Doch so schnell lässt sie die Waffen nicht sinken: ihre Lebensfreude und ihren Humor. „Was haben wir schon gelacht in Anbetracht der Situation mit makabren Witzen“, erzählt sie und schaut schmunzelnd zu ihrem Sohn hinüber. Viele Jahre hatte sie weder Kontakt zu dem 28-Jährigen noch zu ihren Eltern. Jetzt, da das Ende naht, sind sie jeden Tag zusammen. „Blut ist doch dicker als Wasser, hätte ich nicht gedacht“, sagt sie. Alte Konflikte spielen keine Rolle mehr.

Weiterleben nach Wunsch

Barbara C. hat verschiedene Dienste des Palliativnetzes Bochum kennengelernt. Ziel des Vereins ist es, schwerstkranke und sterbende Menschen zu begleiten und ihnen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. „Der Hausarzt war wichtig. Er hat alles veranlasst. Ich hätte das ja auch gar nicht gewusst. Im Grunde war es ganz einfach“, sagt sie. Zuerst wurde Barbara C. zu Hause betreut. Die Palliativärztin Dr. Birgitta Behringer besuchte sie regelmäßig. Morgens und abends kamen Pflegekräfte des Ambulanten Dienstes der Augusta-Kranken-Anstalt, um Medikamente zu bringen und nach dem Rechten zu sehen. Der Kontakt zum Sohn wurde ebenfalls von Mitarbeitern des Palliativnetzes hergestellt.

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Nach mehreren Stürzen, aufgrund der Gehirnmetastasen, empfahl die behandelnde Ärztin den Aufenthalt im Hospiz. „Ich habe mich erst gesperrt und wollte zu Hause bleiben. Hätte ich mich schon früher dafür entschieden, hätte mir einiges erspart bleiben können“, sagt sie heute.

Barbara C. kann im Hospiz St. Hildegard weiterleben wie sie es möchte, darf rauchen und Besuch empfangen, wann immer sie es will. „Und wenn ich um Mitternacht etwas essen möchte, bekomme ich das“, zählt sie weiter auf. Die ihr bekannte Palliativärztin Behringer behandelt sie hier weiter.

Reise zu den Indianern 

Obschon Barbara C. weiß, dass sie wohl bald sterben wird, will sie es doch noch ein wenig hinausschieben. Während gesunde Menschen oft die Zukunft planen, ist die sterbenskranke Frau vollends in der Gegenwart angekommen:„Für mich zählt die Zeit nicht mehr, sondern dass ich mit meinen Freunden und meiner Familie lachen kann.“

Angst habe sie schon – vor einem Sterben mit Schmerzen – auch wenn Medikamente dagegen vielfach helfen können. Der Tod selbst flöße ihr aber keine Furcht ein, sagt sie. „Da gibt es Sachen zwischen Himmel und Erde, die glaubt man nicht“, ist sie überzeugt. Auch ihre Amerikareise, die sie noch im letzten Jahr unternahm, hatte spirituelle Züge. Barbara C. besuchte Indianerreservate in South Dakota. Die Kultur der Ureinwohner Amerikas faszinierte sie schon als Kind. Einzelheiten zu ihrer Begegnung mit den Indianern möchte sie für sich behalten. Doch es bleibt ein Gefühl, dass der Tod bei ihr nicht ohne Hoffnung kommt.

Palliativnetz Bochum

Seit 2005 gibt es das Palliativnetz in Bochum, zu dem mittlerweile 76 Mitglieder gehören. Das Netz umfasst sieben Palliativärzte, die Ambulanten Hospizdienste, das Hospiz St. Hildegard, Palliativstationen im Bergmannsheil und der Augusta-Kranken-Anstalt, Pflegedienste, Apotheke, Sanitätshaus. Die seelsorgerischen Angebote des Netzes umfassen auch Trauergruppen für Kinder und Jugendliche.

Im laufenden Jahr wurden rund 1400 Menschen in Bochum vom Palliativnetz Bochum betreut. Ein Großteil der verstorbenen Patienten konnte bis zum Ende in den eigenen vier Wänden verbleiben. Das heißt: zu Hause, im Senioren- und Altenheim oder im Hospiz. Weniger als zehn Prozent sterben in einem Krankenhaus. „Vor etwa zehn Jahren sind bestimmt 70 bis 80 Prozent der Menschen im Krankenhaus gestorben. Und die zu Hause blieben, starben ohne adäquate Symptomkontrolle“, sagt Palliativärztin Dr. Bettina Claßen. Viele Menschen hätten kurz vor dem Tod Atemnot und Schmerzen. Beides lasse sich gut behandeln, weiß Claßen.

Das Palliativnetz in Bochum habe die höchste Betreuungszahl auf tausend Einwohner in Westfalen-Lippe und sei sicher eines der besten palliativen Versorgungsnetze in der Region, berichtet die Ärztin. „Das Zusammenspiel funktioniert bei uns einfach sehr gut. Wir arbeiten auch eng mit den Hausärzten zusammen“, erläutert sie.