Bochum. . Önder Özgeday leidet darunter, dass er als zehnjähriges Kind beschnitten wurde. Erst später merkte er, was ihm genommen wurde. Ein Betroffenen-Verein beklagt: Im Gesetzgebungsprozess würden die Opfer nicht gehört. Das Thema würde in der Öffentlichkeit bagatellisiert.

Önder Özgeday kann sich noch gut an den Tag erinnern, an dem er beschnitten wurde. Damals war er zehn. Es war eine kleine Arztpraxis, der türkische Arzt hatte schon viele aus seinem Bekanntenkreis beschnitten. Er musste sich ausziehen, bekam eine Schürze umgebunden, damit er nicht alles mitansehen musste. Denn da er nur örtlich betäubt wurde, bekam er alles bewusst mit. „Da war viel Blut – und die ärztliche Assistentin hat verschreckt geguckt“, erinnert er sich.

Auf dem Heimweg kamen die Schmerzen. Schmerzen, die mit der Zeit nachließen und ihn dennoch bis heute heimsuchen. Heute ist Önder Özgeday 29 und studiert Sozialwissenschaften. In den Wochen nach der Operation musste er jeden Tag ein Pulverbad nehmen. Dennoch entzündete sich sein Glied und es dauerte Monate, bis es endlich abheilte.

Bilder, die immer wiederkehren

„Das sind Bilder, die immer wiederkehren“, sagt Önder Özgeday. Er sitzt in seinem Bochumer Studentenzimmer – draußen ist es kalt und grau – und erinnert sich daran, wie verstört er nach dem Eingriff war.

„Damals dachte ich, das hat alles seine Richtigkeit.“ Er habe seinen Eltern vertraut und die hatten die Beschneidung für eine Selbstverständlichkeit gehalten. „Es geschah eher aus muslimischer Tradition, obwohl meine Eltern nicht besonders gläubig waren“, sagt er. Außerdem hatte ein Kinderarzt dazu geraten.

Beschneidungsopfer finden Gleichgesinnte im Internet

Doch in der Pubertät merkte Önder Özgeday, dass er verändert wurde. „Es ist ein Schock, wenn man bei anderen sieht, wie es anders sein kann.“ Er bekam psychische Probleme, das Verhältnis zu seinen Eltern und zu seiner Herkunftskultur litt und ging schließlich in die Brüche.

Im Internet fand er Gleichgesinnte. Merkte, dass andere ähnliche Probleme hatten wie er. Und fand schließlich den Kontakt zum Verein „Mogis e.V.“, der sich für die Opfer unterschiedlicher Formen von Gewalt stark macht. Mittlerweile ist Önder Özgeday wieder so stark, dass er für das Recht auf körperliche Unversehrtheit kämpfen will. Er will seine Geschichte erzählen, damit die Probleme der Beschneidungsopfer gehört werden.

Die Gegenseite wird nicht einmal gehört 

Denn in Talkshows tummelten sich nur Befürworter und im aktuellen Gesetzgebungsprozess zur Erlaubnis der Beschneidung – heute ist die erste Lesung im Bundestag – würden die Gegner nicht einmal gehört, kritisiert Christian Bahls, Vorsitzender des Vereins Mogis. „Es wird nicht hinterfragt“, fügt Önder Özgeday hinzu. Es mache ihn wütend und verletze ihn, „wenn die Beschneidung in der Öffentlichkeit bagatellisiert und gesagt wird, es sei das Recht der Eltern, darüber zu entscheiden.“

Er ist von der Unrechtmäßigkeit der Beschneidung überzeugt. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit steht für ihn über dem der freien Religionsausübung. „Warum hatte ich dieses Recht nicht?“

In der aktuellen Debatte um die Beschneidung würde diese zudem instrumentalisiert: „Es ist die falsche Debatte. Es geht gar nicht um das Wohl der Kinder, sondern um die Ausübung der Religion.“ Beschneidung helfe gegen Bakterien, sei gut gegen Masturbation und religiös vorgeschrieben – die Argumente wechselten, das Ziel bleibe: die religiöse Praxis legitimieren. Dabei könne man diese doch überdenken und gegebenenfalls reformieren.

Er ist froh, wenn diskutiert wird

Wenn Önder Özgeday sich im Internet umschaut, dann bekommt er den Eindruck, dass noch viele andere Männer weltweit mit ähnlichen Problemen kämpfen. Doch keiner sagt etwas. „Das passt nicht mit dem Bild muslimischer Männlichkeit zusammen, da geht man nicht in die Öffentlichkeit. Wer will schon seine Männlichkeit in Frage stellen?“

Und so sei er schon froh, wenn die Probleme mit der Beschneidung überhaupt diskutiert werden. Denn viele Eltern würden sich gegen die Beschneidung entscheiden, wenn sie genug darüber wüssten. Seine Eltern wussten nicht genug, sagt Önder Özgeday. Doch seitdem sie das eingesehen hätten, nähere man sich wieder an. Die seelischen Schäden werden gerade repariert, mit den körperlichen Folgen der Beschneidung wird Önder Özgeday für immer leben müssen.