Bochum. . Eine 70-jährige Bochumerin hilft seit vielen Jahren bei der „Tafel“ ehrenamtlich aus. Gleichzeitig bezieht sie aufgrund ihrer Armut aber auch selbst dort Lebensmittel. Früher hatte sie ausreichend Geld. Aber die Armut hat längst die Mittelschicht erreicht.
„Ich war nervös. Man wurde sich bewusst, dass man arm ist. Ich kam mir wie ein Bittsteller vor.“ Das sagte am Dienstag eine 70-jährige Bochumerin in der Pauluskirche in der Innenstadt. Sie sprach von ihren Gefühlen, als sie das erste Mal zum Sozialamt ging, weil sie mit ihrer Rente nicht auskam. Dabei hatte sie einmal in passablen finanziellen Verhältnissen gelebt. Gestern jedoch stand sie in der Pauluskirche und kaufte bei der „Tafel“ für einen Euro „eine Tüte“, wie sagte. Darin sind zum Beispiel Brot, Wurst, Käse, Milch und Möhren. „Damit komme ich zwei, drei Tage aus.“
Die Altersarmut, sagt Eilert Winterboer , Abteilungsleiter der städtischen Altershilfe, „kommt ein bisschen in der Mittelschicht an“. Er plädiert: „Wir müssen eine neue Wertediskussion anfangen.“ Rund 2550 Bochumerinnen und Bochumer im Rentenalter, so neuere Zahlen, würden Grundsicherungsleistungen beziehen müssen: 374 € plus Miete und Heizung.
„Acht Jahre lang musste ich Schulden zahlen“
Die 70-jährige Frau aus der Pauluskirche gehört nicht zu ihnen. Trotzdem benötigt auch sie 75 Euro monatlich vom Sozialamt, um über die Runden zu kommen. „Ich war gut verheiratet. Mein Ex-Mann hatte eine Firma“, erzählte sie in der Pauluskirche, vor der die „Tafel“ jeden Dienstag Lebensmittel an Bedürftige ausgibt. 25 Jahre hatte hatte die Mutter einer Tochter in einem großen Kaufhaus als Verkäuferin und Kassiererin gearbeitet, einige Jahre in Teilzeit. Nach der Scheidung 1996 ging es finanziell bergab. Sie habe für ihren Mann gebürgt. Als er später in massive Finanzprobleme geraten sei, habe seine Bank ihren Lohn teilweise gepfändet. „Acht Jahre lang musste ich Schulden zahlen.“
Als die alleinstehende Frau 2005 in Rente ging, blieb ihr nicht viel. Erst wohnte sie in einer Altbauwohnung im 3. Stock, „mit Toilette auf dem Flur“. Als sie aber wegen einer Erkrankung in eine andere kleine Wohnung umziehen musste, war der Gang zum Sozialamt erforderlich. Von den 610 Euro Staatsrente und 45 Euro Betriebsrente geht Geld für Strom, Miete, Versicherungen, Telefon und anderes ab. Die 75 Euro vom Sozialamt sind da eine große Hilfe.
Die Bochumerin ist sozial engagiert. Seit rund zehn Jahren hilft sie unter anderem bei der „Tafel“ ehrenamtlich aus. Sie ist gleichzeitig aber auch ihr Kunde.
An der Lebensmittel-Ausgabe der „Tafel“ steht auch Stefani Haferung, Pastorin an der Pauluskirche. „Ich glaube“, sagte sie, „dass es Altersarmut besonders bei Frauen immer gegeben hat; dass es eine große Gruppe von Rentnern gibt, die eine gute Rente bekommen. So gut ging es diesen Rentnern nie. Aber die Schere klafft weiter auseinander. Und die Gruppe der wirklich armen Rentner wird immer größer.“
„Das wird ein Riesenproblem“
Auch die Caritas sieht die Altersarmut wachsen. Annette Borgstedt, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, spricht zwar noch von „Einzelfällen“, in denen die Rente nicht mehr ausreiche. Aber: „Das wird sich zukünftig ändern, da viele Menschen inzwischen in unsicheren Arbeitsverhältnissen stehen. Wir sehen immer öfter, dass viele Menschen, die arbeiten, allein von ihrem Lohn nicht leben können. Er reicht nicht aus. Da weiß man jetzt schon, dass sie mit ihrer Rente später nicht auskommen werden. Das wird ein Riesenproblem. Das sagen alle großen Wohlfahrtsverbände schon seit Jahren. Da muss in der Politik etwas passieren.“