Bochum. . Als Physiker und Mathematiker hat Prof. Günter Ewald, Ex-Rektor der Ruhr-Universität, seinen wissenschaftlichen Ruf. Seit Jahren beschäftigt er sich auch mit Nahtod-Erfahrungen und schreibt darüber. Er selbst glaubt daran, seine verstorbene Tochter im Jenseits wiederzusehen.

Das hübsche Mädchen lacht, ihre Augen strahlen. „Meine Tochter Esther“, sagt Prof. Günter Ewald. „Sie starb mit 13.“ Traurig schaut er auf das Foto im Wohnzimmer. Dann hellt sich sein Gesicht auf. „Damals, 1996, ist etwas abgebrochen. Aber es kann fortgesetzt werden.“ Der renommierte Wissenschaftler ist plötzlich ganz liebender Vater. Günter Ewald glaubt an ein Leben nach dem Tod. An ein Wiedersehen mit Esther.

Studium der Mathematik, Physik und Chemie, Promotion und Habilitation in Mathematik, Forschungs- und Lehrtätigkeiten in den USA und an der Ruhr-Uni, deren Rektor er 1973 bis 1975 war: Günter Ewald blickt auf ein erfolgreiches Wirken als Naturwissenschaftler zurück. Streng rational, wie es dem Berufsstand zur Ehre gereicht. Unverrückbaren Fakten und Formeln verhaftet.

Die Schwelle zum Jenseits

Der Blick ins Jenseits, mehr vom Glauben als vom Verstand genährt, hat Günter Ewald eine zweite, späte Karriere beschert. Der emeritierte Professor gilt seit den 1990er Jahren als einer der bekanntesten Forscher von Nahtoderfahrungen und christlichem Auferstehungsglauben. In zehn Büchern widmet er sich Grenzfragen zwischen Leben und Tod. „Auf den Spuren der Nahtoderfahrungen“, heißt sein jüngstes Werk. Untertitel: „Gibt es eine unsterbliche Seele?“

„Ja“, sagt der schwerhörige, aber hellwache 82-Jährige, der mit Ehefrau Hanna (61) noch immer unweit der Uni am Aeskulapweg wohnt. Nein, er selbst hat dem Tod noch nie ins Auge gesehen. Wohl aber mehrere hundert Frauen und Männer, die - meist nach einem Herzstillstand oder Verkehrsunfall - aus dem Beinahe-Tod wieder ins Leben zurückgerufen wurden.

In bewegenden Briefen haben sie Günter Ewald geschrieben, wie sie die Schwelle zum Jenseits empfunden haben. „Lange wurden diese Schilderungen nicht ernst genommen, als Spinnerei abgetan. Das hat sich geändert. Es gibt ganz offensichtlich ein unabhängiges Bewusstsein, eine ,Seele’, die sich vom Körper zu lösen vermag, wenn der Mensch als biologisches Wesen aufhört zu existieren.“

Schöne, berauschende Szenarien

Am häufigsten werden Außerkörpererfahrungen wahrgenommen. Ein 44-jähriger Mann hat einen Herzinfarkt erlitten. Er ist klinisch tot, als er endlich in einem Park gefunden und in ein Krankenhaus gebracht wird. Bevor er künstlich beatmet wird, entfernt ein Pfleger sein Gebiss und legt es auf einen Instrumentenwagen. Der Patient überlebt: und weiß später präzise, wo sein Gebiss liegt und wer es dort hingelegt hat. Während der Wiederbelebung, erzählt er, habe er unter der OP-Decke geschwebt und alles beobachtet.

„Sämtliche seiner Schilderungen stimmten exakt -- trotz des Herzstillstandes“, sagt Günter Ewald und ist keinesfalls erstaunt. „Das Markante bei allen dokumentierten Nahtoderfahrungen ist die Übereinstimmung der jeweiligen Merkmale: das genaue Erinnern nach Schwebeerlebnissen, das besonders häufig nach Verkehrsunfällen wahrgenommen wird; der Tunnel, an dessen Ende ein gleißendes Licht erstrahlt; das Lebenspanorama, das im Zeitraffer vorbeizieht; das Wiedersehen mit verstorbenen Verwandten und Freunden. Und: Nahezu alle Berichte künden von schönen, mitunter berauschenden Szenarien.“

Esoterik ist ihm fremd

Besonders emotional sind die Erzählungen eines 20-Jährigen, der nach einem Sportunfall in höchster Lebensgefahr war: „In einem festlich glänzenden Raum begegnete mir eine strahlende Person. Sie nahm sich meiner an. Es kamen noch sechs oder sieben solche Personen. Sie kannten mich alle. Bis auf drei oder vier erkannte ich sie auch. Meine erste Führungsperson war meine Großmutter (verstorben 1960).“ Auch die weiteren Lichtgestalten seien verstorbene Verwandte gewesen, darunter sein Bruder. „Ich befand mich in einer Atmosphäre von höchstmöglich vorstellbarer Liebe und Glück.“

„Der Zustand kann so überwältigend sein, dass manche Menschen regelrecht traurig und wütend sind, wieder ins Leben zurückgeholt zu werden“, sagt Günter Ewald, dem jegliche Esoterik fremd ist, der sich als gläubiger Mensch aber sehr wohl im Einklang mit der Naturwissenschaft sieht.

Angst vorm Sterben

Hirnforscher meinen, das Phänomen längst enträtselt zu haben. Was als Nahtoderfahrung publiziert werde, seien völlig normale Halluzinationen oder visuelle Trugbilder. Sie entstehen, wenn unter bestimmten Umständen die gegenseitige Kontrolle verschiedener Hirnregionen versagt (etwa durch Sauerstoffmangel) und einzelne Hirnfunktionen übermäßig aktiv werden.

Günter Ewald hält dagegen. Materie, Kraft und Geist: In seinem Buch versucht er, sich mit den Erkenntnissen der Quantenphysik dem eigentlich Unerklärlichen zu nähern. Sein Fazit: „Es gibt keine Beweise, aber Hinweise für eine unsterbliche Seele. Die zeitgemäße Wissenschaft schließt diese Ursehnsucht des Menschen nicht mehr aus.“

Hat Günter Ewald Angst vor dem Tod? „Vielleicht vor dem Sterben, nicht aber vor dem Tod“, sagt er und lächelt mild. Er glaubt, nein: er weiß: Esther wartet auf ihn.