Bochum. . Nach monatelanger Verhandlungsdauer ist am Bochumer Landgericht ein Strafprozess geplatzt. Grund: Der Vorsitzende Richter wurde für befangen erklärt, da er einen Straftatverdacht in den Prozess mit einbrachte, den die Staatsanwaltschaft gar nicht erwähnt hatte. Am Freitag startete der Prozess nochmal ganz von vorn. Die Kosten sind enorm.

„Das kommt einmal in 30 Jahren vor“, sagte Strafverteidiger Hans Reinhardt am Freitag auf dem Flur des Bochumer Landgerichts. Auf seinen Antrag hin war ein seit vergangenem September laufender Prozess gegen eine mutmaßliche Einbrecherbande geplatzt. Der vorsitzende Richter Ralph-Ingo Erdmann war vor wenigen Wochen von seinen eigenen Richterkolleginnen für befangen erklärt worden. Deshalb musste der Prozess jetzt nach rund 30 Prozesstagen ganz von vorn beginnen, mit fast allen Einzelheiten und beträchtlichen zusätzlichen Kosten.

Richter Erdmann ist nicht mehr dabei, den Vorsitz hat eine der Richterinnen, die ihn für befangen hielten, Nadja Lichtleitner.

Werte von mehreren 100.000 Euro Euro erbeutet, auch einen Rolls Royce

Drei Recklinghäuser (18, 22, 24, alle U-Haft) sollen von 2008 bis 2011 im Kreis Recklinghausen bei wechselnder Tatbeteiligung in über 100 Fällen in Wohnungen und Geschäftsräume eingebrochen sein. Beute: Schmuck, Geld und andere Wertsachen im Wert von mehreren 100 000 Euro. Der Erlös wurde angeblich verprasst. Einmal sollen die Männer auch einen Rolls Royce und einen Jaguar gestohlen haben. Außerdem werden ihnen einige Raubüberfälle angelastet, unter anderem auf eine Spielhalle und einen Kiosk.

Rechtsauffassung des Richters sei „nicht vertretbar“

Und genau dort liegt der Grund für Reinhardts Befangenheitsantrag. Der Vorsitzende hatte im Prozess anhand eines Gutachtens ermitteln wollen, ob Reinhardts Mandant (18) auch bei dem Überfall auf die Spielhalle mitgemischt hatte. Dieses Verbrechen hatte ihm der Staatsanwalt in der Anklage aber gar nicht vorgeworfen, sondern nur den Mitangeklagten. Reinhardt sah in diesem Versuch des Richters einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative und damit eine Kompetenzüberschreitung. Konkret: Nur dem Staatsanwalt (Exekutive) stehe es zu, dem 18-Jährigen den Spielhallenraub anzulasten, nicht aber dem Richter (Judikative). Er dürfe nur innerhalb derjenigen Vorwürfe weitere Ermittlungen anstellen, die der Staatsanwalt auch angeklagt habe. Die Rechtsauffassung des Richters sei „nicht vertretbar“, sagte Reinhardt der WAZ. „Sie verletzt eine wichtige Säule unserer Verfahrensordnung, nämlich das Anklageprinzip.“

Bei dem Gutachten ging es um die Überprüfung von Fotos, die den Überfall zeigen. Eine Gutachterin sollte herausfinden, ob die Körperkontur der abgelichteten, aber nicht identifizierbaren Täter zu der Statur des 18-Jährigen passe. Alle Angeklagten geben nur die Einbrüche zu, nicht aber die Raubüberfälle. Ihnen drohen viele Jahre Jugendstrafe.

Jeder Pflichtverteidiger erhält 313 Euro pro Sitzung vom Staat

Der bisherige Prozess (in dem bereits vier weitere Männer verurteilt worden sind) hat bereits eine sechsstellige Euro-Summe verschlungen. Durch die Neuauflage wegen der Befangenheit kommen wohl noch mehrere zehntausend Euro hinzu. Pro Sitzungstag erhält ein Pflichtverteidiger (jeder Angeklagte hat gleich zwei) in diesem Fall 313 Euro vom Staat. Hinzu kommen die Kosten für das Personal der Justiz, die Gutachter - und die Schöffen. Die mussten ebenfalls ausgewechselt werden.

„So, es fängt fast alles von vorne an“, sagte die Vorsitzende Nadja Lichtleitner am Freitag zu den drei Angeklagten. Jeder einzelne Fall in der Anklage wird jetzt aufs Neue durchgekaut. Neun Termine sind bis 26. April angesetzt.