Bochum. . Er ist eine Institution, die mittlerweile allein im afrikanischen Gambia etliche Nachahmer gefunden hat. Der 1980 gegründete Kindergarten Wattenscheid gilt als „Vater“ aller mittlerweile 96 Kindergärten in dem afrikanischen Zwergstaat.
Seit 1997 leitet Gerd Ruth (79) als Vorsitzender den Verein. Der Verein mit seinen rund 300 Paten sorgt verlässlich dafür, dass die Erfolgsgeschichte weiter geht. WAZ-Leserbeirat Uwe Siebler (selbst Pate) und WAZ-Redakteur Michael Weeke sprachen mit Gerd Ruth.
Was können Sie über die Anfänge des Projektes sagen?
Gerd Ruth: Die Wattenscheider Eheleute Günter und Ulrike Schmitter verbrachten 1978 ihren Urlaub in Gambia. Die vielen umherstreunenden Kinder auf den Straßen und das Elend dort haben sie tief bewegt und erschüttert. An einem WAZ-Stammtisch mit Wattenscheider Bürgern entstand später die Idee. Schon zwei Jahre später begann der Bau des Kindergartens.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie zum Kindergarten Wattenscheid stießen?
Ruth: Eines Tages kam Günther Schmitter zu mir in mein Café und fragte, ob ich mir ein Engagement vorstellen könnte. 1984 bin ich dann zum ersten Mal nach Gambia gereist – daraus wurden bis heute insgesamt 27 Reisen. Vorsitzender bin ich 1997 geworden, bis heute. Jemand hatte mich damals für diesen Posten vorgeschlagen.
Wie hat sich der Kindergarten entwickelt und wie groß ist er heute?
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Ruth: In den Kindergarten Wattenscheid in Brikama gehen zwischen 450 und 480 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren. 33 Angestellte, davon 18 pädagogische Kräfte, arbeiten dort. Der Kindergarten funktioniert im Prinzip wie eine Vorschule hierzulande. Die Kinder bekommen, da sie auch die gambianische Amtssprache Englisch lernen, viele Vorteile für ihr weiteres Leben.
Welchen Stellenwert hat der Kindergarten Wattenscheid in der Gesellschaft in Gambia?
Ruth: Er ist der größte und wohl am besten geführte Kindergarten in Gambia. Alle mittlerweile 96 Kindergärten des Landes orientieren sich an diesem Vorbild. Er war übrigens auch bei seiner Gründung 1980 die allererste Einrichtung seiner Art.
Es hat ja eine ganze Reihe von Neugründungen – die alle auf Paten des Kindergartens Wattenscheid zurückgehen – gegeben. Gibt es da noch Verbindungen?
Ruth: Nicht zu allen. So existiert ja bekanntlich die 1982 gegründete Kinderklinik Bochum in Gambia nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form. Zu anderen Einrichtungen wie etwa dem Kindergarten Bottrop oder der „Technical High School“ in Brikama gibt es sehr wohl Kontakte und auch eine gute Zusammenarbeit. Das gilt besonders für das Gebiet der Arbeitskräfte, da es eine Erzieher- oder Lehrerausbildung wie in Deutschland dort nicht gibt.
Wie ist derzeit in Gambia die politische Situation?
Ruth: Das Wichtigste ist, dass es im Augenblick ruhig ist. Aber natürlich ist das keine Demokratie nach westlichem Muster.
Ein Wort zu Gambia?
Ruth: Dort leben rund 1,3 Millionen Menschen. Früher waren Fischfang und Erdnussanbau die Hauptwirtschaftszweige. Heutzutage wird der Tourismus immer wichtiger für die Menschen.
Ist es eigentlich schwer, Hilfsgüter dort hin zu bringen?
Ruth: (Lacht) Tja, wie man es nimmt. Es kann passieren, dass Container tagelang im Hafen liegen. Da kommt es dann auf die richtigen Verbindungen an. Die Menschen und auch die Behörden haben halt eine ganz andere Mentalität.
Welche Aktivitäten laufen zur Zeit?
Ruth: Unser letztes großes Projekt war die Einrichtung einer Dentalstation im Kindergarten Wattenscheid. Von dort aus versorgen mittlerweile zwei Dentisten 3500 Kinder aus der ganzen Stadt. Außerdem haben wir jetzt die Solaranlage erneuert, die einen Großteil des Stroms für den Kindergarten liefert.
Wie schätzen Sie die Zukunft des Kindergartens ein?
Ruth: Die Zukunft ist gesichert. Doch das ist kein Selbstläufer. Pro Jahr müssen rund 70.000 Euro aufgebracht werden. Das sind nicht nur die Gelder der Paten. Bei besonderen Aktionen wie Renovierungen oder Neubauten sind wir auf Einzelspenden angewiesen.
Was muss ein Vorsitzender mitbringen?
Ruth: Zunächst muss ich sagen: Was ich mache, ist alles ehrenamtlich. Jede meiner Reisen nach Gambia habe ich aus eigener Tasche bezahlt. Hinzu kommt, dass ein gewisser Bekanntheitsgrad (Gerd Ruth als ehemaliger Konditor-Obermeister war unter anderem sehr aktiv im Wattenscheider Karneval, Anm. d. Red.) natürlich sehr hilfreich ist, wenn es etwa um Spenden oder die Werbung neuer Paten geht.