Bochum. .

Am kommenden Dienstag will der Evangelische Kirchenkreis Bochum den Hans-Ehrenberg-Preis 2011 an die Grünen-Politikerin Antje Vollmer verleihen. Das stieß nicht nur auf Beifall, sondern löste auch Empörung aus: Eine Initiative ehemaliger Heimkinder hat deshalb bei der Polizei eine Demonstration angemeldet.

„Wir vom Verein ehemaliger Heimkinder e.V. finden diese Preisverleihung ebenso obszön wie skandalös“, heißt es unmissverständlich. Und: „Frau Vollmer hat nichts dazu getan, ehemalige Heimkinder zu versöhnen oder auch nur in Konsens zu bringen. Frau Vollmer hat es - entgegen ihrem eigenen Anspruch und dem der Preisverleiher - verstanden, die Überlebenden der bundesdeutschen Kinderheimhöllen und deren VertreterInnen am RTH zu verhöhnen, zu retraumatisieren, von jedweder Gerechtigkeit fern zu halten, der Lächerlichkeit und Kritik preiszugeben, äußerstem Druck auszusetzen.“

Ein runder Tisch mit Kanten

RTH ist das Kürzel für den deutschen „Runden Tisch Heimerziehung der 50er und 60er Jahre“, den Antje Vollmer als Vorsitzende moderiert hatte. Dabei ging es um die Entschädigungen für geschätzte 800.000 Kinder, die damals in deutschen Heimen übel drangsaliert wurden. Nach zweijährigen Verhandlungen zwischen Heimträgern (vor allem kirchlichen) und Vertretern ehemaliger Heimkinder wurde ein Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro vereinbart.

Pfarrer Thomas Wessel, in dessen Christuskirche der Preis traditionell verliehen wird, hat sich mit der RTH-Problematik intensiv beschäftigt, zuletzt deshalb, weil Antje Vollmers Einsatz in dieser Runde ein Grund mit für die Auszeichnung mit dem Ehrenberg-Preis ist.

Der runde Tisch hatte offenbar auch Kanten: „Von Antje Vollmer weiß ich, das war die schwerste Verhandlung ihres Lebens, das ging ihr an die Nieren,“ erzählt Wessel und erinnert daran, dass der „runde Tisch“ erst gebildet worden war, nachdem der Petitionsausschuss klar gestellt hatte, dass eine gesetzliche Grundlage für die Entschädigungen betroffener Heimkinder fehle.

Verständnis für Proteste

„Absurde Forderungen“ des Vereins ehemaliger Heimkinder, so sieht es Pfarrer Wessel, hätten das Klima am Runden Tisch verschärft, etwa durch die Forderung, einen Anwalt, der zuvor die Entschädigung für Zwangsarbeiter mit ausgehandelt hatte, in die Verhandlungsrunde zu nehmen. Für Antje Vollmer sei es nicht leicht gewesen, einen Konsens zu erzielen.

Von „Druck auf die OpfervertreterInnen“ sprechen Vollmers Kritiker. Die Vorsitzende habe damit gedroht, den RTH platzen zu lassen, wenn keine Einstimmigkeit bei der Abstimmung zum Abschlussbericht zustande käme. Dann würde es kein Geld geben.

Dass zur Preisverleihung in Bochum ehemalige Heimkinder demonstrieren wollen, nimmt Pfarrer Wessel offenbar gelassen. Er zeigt Verständnis für sie, zumal er schon zweimal mit ihnen gesprochen habe: Die meisten seien ja nun über 60 oder über 70 Jahre alt. Viele Betroffene könnten bald ins Altersheim kommen, wo die Gefahr der Retraumatisierung drohe - wenn etwa wegen der Regeln wie gemeinsames Essen Erinnerungen ans Kinderheim aufsteigen: „Da bricht alles wieder auf.“

Ein Preis für protestantische Position

Was die Anwürfe gegen Antje Vollmer anlangt, bemerkt Wessel dazu: „Diese Geschichten werden von Leuten kolportiert, die nicht am ,Runden Tisch’ gesessen haben.“

Dass die Theologin und spätere Vizepräsidentin des Bundestags Antje Vollmer den nach dem Bochumer Pfarrer und Nazi-Kritiker Hans-Ehrenberg benannten Preis bekommt, hält Wessel für richtig. Den Preis, so die Vorgabe, erhalten Persönlichkeiten, die in öffentlicher Auseinandersetzung protestantische Position beziehen und sie in aktuellen politischen, kirchlichen und wissenschaftlichen Kontroversen vertreten.