Berlin. .
Ehemalige Heimkinder sollen aus einem 120-Millionen-Fonds schöpfen können. Das schlägt der Runde Tisch Heimerziehung vor. Doch einige Missbrauchs-Opfer sind damit nicht zufrieden. Sie sprechen von „Abspeisung“.
Der Runde Tisch Heimerziehung schlägt einen Hilfsfonds für ehemalige Heimkinder vor. Angedacht sei ein Finanztopf mit einem Volumen von 120 Millionen Euro, sagte die Leiterin des Runden Tisches, die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, am Montag in Berlin.
20 Millionen Euro sollen in einen Rentenfonds für Betroffene fließen, denen durch den Heimaufenthalt Rentenansprüche entgangen sind. 100 Millionen Euro sollen als Ausgleichszahlungen für Folgeschäden zur Verfügung stehen, für Therapien und Traumabehandlungen ebenso wie für Mietzuschüsse oder Altershilfen. Pauschale Entschädigungen soll es nicht geben. Dies wäre „nicht gerechtfertigt“, sagte Vollmer.
Bund, Länder und Kirchen sollen den Fonds gemeinsam finanzieren - jeweils zu einem Drittel. Die Kirchen sagten ihre Zahlungsbereitschaft zu, von Bund und Ländern kam ein Ja unter Vorbehalt. Hier müssten die Parlamente noch über die Zahlung entscheiden, hieß es.
Opfer: „Wir haben viel erreicht“
In seinem Abschlussbericht plädiert der Runde Tisch außerdem für ein Netz von regionalen Anlaufstellen. Betroffene könnten hier ihre Lage schildern und Hilfe bekommen. Vollmer sagte, das Leid aller Opfer werde anerkannt. In den Kinderheimen sei vielfach Unrecht geschehen und es habe klare „Regel- und Rechtsverstöße“ gegeben.
Opfervertreter räumten ein, ihre Forderungen seien nicht vollständig erfüllt worden. Die Betroffenen hatten eine monatliche Zahlung von 300 Euro für ehemalige Heimkinder gefordert oder wahlweise eine Einmalzahlung von 54.000 Euro. „Wir haben nicht alles, aber wir haben viel erreicht“, sagte einer der Betroffenen, der sich am Runden Tisch beteiligt hatte, Hans-Siegfried Wiegand. Er mahnte, der Fonds dürfe nicht gedeckelt werden. Alle Antragsteller müssten Hilfen bekommen. Wiegand rief deshalb zu allgemeinen Spenden für den Finanztopf auf.
„Billige Abspeisung“
Der Verein ehemaliger Heimkinder hat zuvor eine Klage gegen die Ergebnisse des Runden Tisches Heimerziehung angekündigt. Die Vereinsvorsitzende Monika Tschapek-Güntner sagte am Montag im Deutschlandradio Kultur, die vom Runden Tisch empfohlene Bundesstiftung mit einem Umfang von 120 Millionen Euro sei eine „billige Abspeisung“ und „Demütigung“ der Betroffenen. Der Verein werde das Ergebnis „nicht anerkennen“, sagte sie. „Wir gehen den Klageweg.“ Der Runde Tisch Heimerziehung legt am Montag seinen Abschlussbericht vor. Nach der letzten Sitzung des Gremiums am Freitag war bekanntgeworden, dass der Bericht die Gründung einer Stiftung vorsieht.
Bei geschätzten 30.000 Anspruchsberechtigten bekomme der Einzelne von der geplanten Stiftung 2000 bis 3000 Euro, sagte Tschapek-Güntner. Es könne nicht sein, dass Menschen, die als Kind Misshandlungen, Folter und sexuellen Missbrauch erlebt hätten, derart abgefertigt würden. „Eigentlich müssten alle, die am Runden Tisch sitzen, sich dafür schämen“, sagte sie. Tschapek-Güntner forderte erneut eine Einmalzahlung für die Betroffenen von 50.000 Euro oder eine zusätzliche monatliche Rente in Höhe von 300 Euro. „Genau das werden wir (...) versuchen, weiterhin durchzusetzen“, sagte sie.
Schicksal von 800.000 Heimkindern aufgearbeitet
Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hans Ulrich Anke, weist unterdessen die Kritik der Betroffenen zurück. Er könne nicht verstehen, warum der Verein ehemaliger Heimkinder die Einigung nicht akzeptieren könne, sagte das Mitglied des Gremiums am Montag im Deutschlandfunk. Juristischen Schritten gegen die Übereinkunft, die am Montag in Berlin vorgestellt werden sollte, räumte er auch mit Blick auf Verjährungsfristen keine Aussicht auf Erfolg ein.
Der Runde Tisch Heimerziehung hatte unter der Leitung der Grünen-Politikerin Antje Vollmer seit Februar 2009 das Schicksal der rund 700.000 bis 800.000 Heimkinder in Deutschland aufgearbeitet. Mit dem geplanten Stiftungsfonds sollen Heimkinder entschädigt werden, die von 1949 bis 1975 Opfer körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt wurden. (afp/dapd)