Bochum. .
„Ich habe den kleinen Grünspecht verletzt auf dem Gehweg gefunden. Er konnte noch nicht fliegen. Obwohl ich ihn versorgt hatte, ist er tags darauf gestorben.“
Andreas Böker deutet auf die Ecke in seinem Garten an der Vierhausstraße in Grumme, wo er den Vogel begraben hat. Er ist überzeugt, dass das Jungtier – Grünspechte gehören zu den geschützten Arten – aus seinem Nest gefallen ist, weil der Unternehmer Herwarth Reich auf seinem Grundstück nebenan Bäume fällen lässt, und zwar jetzt während der Vogel-Nistzeit. Das Bundesnaturschutzgesetz erlaubt Abholzungen nur bis Ende Februar.
Andreas Böker ist Sprecher der Interessengemeinschaft Vierhausstraße. Seit Jahren beobachtet er die Vogelvielfalt in den Bäumen auf dem Firmen-Grundstück, das durch eine Fülle hoher Pappeln zur Wohnbebauung abgeschirmt wird. „Von unserem Garten aus sehen wir jedes Frühjahr Spechte und Eichelhäher. Ich bin sicher, dass dort auch in diesem Jahr viele Vögel nisten.“ Gut die Hälfte der Bäume auf dem Firmenareal sei bereits verschwunden. Um den Rest vor dem Häcksler zu bewahren, hat Böker alle Hebel in Bewegung gesetzt und erreicht, dass die Sägen vorerst ruhen.
Unternehmen steht unter Zeitdruck
Das Bochumer Unternehmen Reich, das in diesem Jahr 65 Jahre alt wird, baut Kupplungen für die Industrie, für Windräder, Bagger und Schiffe. Reichs Anwalt Berthold Witteler erklärt dazu gegenüber der WAZ: „Nach der Wirtschaftskrise zog die Konjunktur für Reich wieder stark an. Er steht unter enormem Zeitdruck, um etwa Verträge einhalten zu können.“ Fünf Millionen Euro will er investieren. Auf dem Gelände soll rasch eine neue Produktionshalle entstehen, die Belegschaft von jetzt 100 auf bis zu 120 erweitert werden, sonst könne er den Standort Bochum nicht halten.
Der Anwalt bestätigt, dass dem Unternehmer bereits am 18. Februar eine Fällgenehmigung durch die Stadt vorlag, aber die Baugenehmigung für die Betriebserweiterung folgte erst Wochen später; „vorher wollte Reich nicht abholzen“, erklärt Witteler. Per Gutachten sei ausgeschlossen worden, dass gefährdete Arten betroffen seien: „Deshalb gab’s für uns die Ausnahme, auch jetzt noch zu fällen.“ Reich sei weit davon entfernt, Tiere vernichten zu wollen, „und ob der Vogel, den der Anwohner gefunden hat, tatsächlich vom Betriebsgelände stammt, weiß keiner“.
Stadt stoppte die Fällungen
Nachbar Böker hat Verständnis dafür, dass der Unternehmer seine Firma nach vorn bringen will, nicht aber, „dass er Bäume während der Nistzeit fällt. Dazu hatte er im Februar doch Zeit genug“. Und so hat er alle Behörden aufgescheucht. Ergebnis: Die Stadt Bochum stoppte die Fällung Freitagmittag. Gerhard Zielinsky, Leiter des Umweltamtes: „Es gibt Ausnahmen vom Bundesnaturschutzgesetz, mit denen auch nach dem 1. März Abholzungen noch erlaubt sind. Hier aber sehe ich dafür keine Tatbestände.“
Auch die Bezirksregierung Arnsberg hat Böker informiert. Sprecherin Julia Beuerlein erklärt dazu: „Nach unserer Auffassung hat die Stadt als Untere Landschaftsbehörde korrekt gehandelt, dass sie die Baustelle stillgelegt hat. Die Baumfällarbeiten müssen ruhen, bis das Brutgeschäft beendet ist, also mindestens bis Ende Juli. Dann wird ein Biologe, den die Stadt beauftragt, das Gelände in Augenschein nehmen, um Gefährdungen von Tieren auszuschließen.“
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