Bochum. .
Nicht nur im Rathaus an der Spitze: Viele Führungspositionen in Politik, Verwaltung, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft sind in Bochum fest in Frauenhand.
Die eine will „den Spaß an der Arbeit retten“, die andere empfindet ihren Topjob als „Lebenselexier“, eine dritte greift gar nach den Sternen: Selbstbewusste Frauen, die beruflich aufgestiegen sind in Spitzenpositionen, gibt es in Bochum auffallend viele. Dabei hatte Familienministerin Kristina Schröder gerade erst im „Spiegel-Gespräch“ im Namen der Frauen gefordert: „Wir müssen selbstbewusster werden“, was eine Debatte auslöste.
Nun sind zwar von den 185 Dax-Vorständen in Deutschland nur vier weiblich, aber das war kaum der Maßstab in Bochum, wenn es galt, die Bürde der Verantwortung auf die Schultern einer Frau zu laden.
Bochum ist weiblich
Bochum ist weiblich. Das gilt zu hundert Prozent für die ganze vierköpfige Stadtspitze aus Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) und den drei Bürgermeisterinnen (Gabriela Schäfer (SPD), Erika Stahl (CDU), Astrid Platzmann-Scholten (Grüne)). Wie konnte das geschehen?
Ist den Männern Bochums die Lust am Aufstieg abhanden gekommen? Scheuen sie die anstrengende Rampenrolle der Nummer 1? Aalen sie sich lieber im komfortablen Nebenreich der gut dotierten Süßlupinen?
Einer zumindest stand bereit. Das war Ernst-Otto Stüber anno 2004. Da wollte er nach zehnjähriger Amtszeit als Oberbürgermeister noch mal ran. Doch die Partei (SPD) hustete ihm was, man/frau wollte lieber eine Frau. Erst war Birgit Fischer, damals noch NRW-Frauenministerin, heiße Favoritin, doch Oberbürgermeisterin wurde Ottilie Scholz (Lieblingsaussage: „Ich freue mich“ oder „Wie schrecklich“), weil Fischer die Landespolitik vorzog. Hätte die Ex-Kämmerin Scholz, von Parteifreunden kumpelhaft „unsere Otti“ genannt, auf den Posten gepfiffen, wäre Gabi Schäfer Bochums Stadtoberhaupt geworden. Die wollte. Und wie.
Bochumer Power-Frauen
2004 war es jedenfalls passiert: Es war die Geburtsstunde des Frauenregiments im Rathaus. Vorbei die Zeit, als gestandene Alpha-Männchen wie Stüber und SPD-Fraktionschef Heinz Hossiep („Der Pate“) trickreich die Klingen kreuzten. Seit sechs Jahren haben die Bochumer Ratsmitglieder stattdessen das Vergnügen, im Sitzungssaal immer wieder zu den vier Frauen auf dem hohen Podium aufschauen zu dürfen.
Frauenpower im Rathaus
Frauenpower zog auch in die Chefsessel der Rathaus-Oberen ein. Seit drei Jahren ist die frühere Finanzrichterin Diane Jägers Rechts-und Ordnungsdezernentin und findet ihren Job immer noch super. „Der ist mir auf den Leib geschnitten“, lacht sie gut gelaunt. „Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung. Das ist Lebenelexier pur.“ Auch die beiden Dezernentenposten für Jugend und Soziales (Britta Anger) und Personal (Birgitt Collisi) sind fest in Frauenhand.
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Prof. Dr. Susanne Hüttemeister schaut auch nicht so aus, als lechze sie nach mehr Selbstbewusstsein. Die Frau, „die nach den Sternen greift“, leitet das Planetarium und ist an der Ruhr-Universität Professorin für Astronomie. Ein Leben gewiss zwischen Gasen und Galaxien, aber auch sehr bodenständig im Kontakt mit den Menschen - mit immer neuen Programmen für Kinder und Erwachsene. „Ein Blick in den Sternenhimmel ist ein Blick in unsere eigene Geschichte“, sagte sie einmal.
„Unser Boss ist eine Frau“, können jetzt auch die 2000 Bochumer Polizeibeamten sagen, nachdem Diana Ewert, eine 50jährige Volljuristin, im Oktober als erste Polizeipräsidentin Bochums ihr Amt antrat. Dabei sagte die frühere Studentin der Ruhr-Universität: „Und was ist das Sahnehäubchen an meiner neuen Aufgabe? Ich arbeite im ,Revier’, in dem ich zu Hause bin und dessen offenen und herzlichen Menschenschlag ich sehr schätze.“ PP-Vorgänger Thomas Wenner, gefürchtet wegen seiner scharfen Zunge, hätte sowas nie gesagt. Er konnte es auch nicht, er ist Rheinländer.
„Und immer lockt das Weib“ ist im Dunstkreis vieler Chefetagen kaum ein Thema. Da ist mehr gefragt als ein knackiger Po, es geht nicht um Models auf dem Laufsteg.
Quer durch die Branchen
Auch im Amtsgericht hat jetzt eine Frau das Sagen: Rita Finke-Gross wurde 2010 Direktorin mit 270 Mitarbeitern. Die erfahrene Richterin („Im Strafrecht pulsiert das Leben“) liest trotzdem noch gerne Krimis und will dafür sorgen, dass die Mitarbeiter „unter der Belastung nicht den Spaß an der Arbeit verlieren“. Auf die Frage von Kollege Bernd Kiesewetter, ob Frauen bessere Chefs sind, sagte sie: „Das werden die Beschäftigten nach meiner Pensionierung entscheiden können.“
Marie Luise Graf-Schlicker, langjährige Landgerichtspräsidentin in Bochum, stieg noch weiter auf, wurde ins Bundesjustizministerium berufen. Ihr Nachfolger in Bochum - Überraschung - wurde ein Mann.
Frauen ganz oben: Das zieht sich in Bochum quer durch die Branchen: Als Chefredakteurin von Radio Bochum ringt Andrea Donat seit 13 Jahren täglich mit dem allmächtigen WDR (6 000 Mitarbeiter) um Quotenanteile. Um die Geschicke des Prinz Regent Theater kümmert sich Regisseurin Sibylle Broll-Pape schon ganz lange: Die Intendantin war 1991 Mitbegründerin, seit 15 Jahren auch die Leiterin. Wer hätte es vermutet: Die künstlerisch so intensiv agierende Theaterfrau hat nicht nur Anglistik studiert, sondern auch Staatsexamen in Mathematik abgelegt.
„Wenn ich zum Telefon greife, stehen 5 000 Opelaner bereit“. So haute Ludger Hinse gern auf den Putz, als er noch IG Metall-Boss von Bochum war. Als er nach 39 Dienstjahren in den Vorruhestand entschwand, um als Künstler zu reflektieren, schlug die große Stunde der Ulrike Kleinebrahm. Die Schatzmeisterin wurde, so der sperrige Cheftitel, „1. Bevollmächtigte“ und damit auch Wortführerin in der Bochumer Männerwelt von tausenden Stahl- und Metallarbeitern.
Nicht zwingend ein Zuckerschlecken: Als bei Nokia in Bochum die Lichter ausgingen, habe sie das besonders geschmerzt, wird glaubhaft kolportiert, weil es ja vor allem Frauenarbeitsplätze waren, die vernichtet wurden. Ulrike Kleinebrahm, die auch laute Töne kann, flog mit der Betriebsratsvorsitzenden Gisela Achenbach nach Finnland, um Tacheles mit den Nokia-Herrschaften zu reden. Leider bissen beide im eiskalten Norden auf Granit.
Selbstbewusste Frauen brauchen nicht immer einen Chefposten
Ein Blick in die Politik: Ein Beispiel für Energiegeladene ist die Bochumerin Christa Thoben (CDU). Was für eine Karriere: Erst IHK-Hauptgeschäftsführerin, als Krönung Wirtschaftsministerin im NRW-Kabinett Rüttgers (2005 bis 2010). Vorher wollte die Bochumer CDU sie als OB-Kandidatin gegen Birgit Fischer in Stellung bringen, was sie ablehnte. Jetzt soll sich Christa Thoben, die schon unter Kohl als Staatssekretärin diente, die klamme Kasse auf Vordermann bringen - als CDU-Landesschatzmeisterin.
Geschafft hat es in der Landeshauptstadt Düsseldorf die Bochumer SPD-Abgeordnete Carina Gödecke, sie stieg zur Vizepräsidentin des Landtags auf. Die Politikerin, gelegentlich als „fleißiges Lieschen“ verkannt, hatte sich sich nicht nur an der Parteibasis in Bochum fein vernetzt. Frauen immer wieder oben: Siehe Ex-Frauen- und Gesundheitsministerin Birgit Fischer, die Menschenversteherin . Als die SPD 2005 die Landtagswahl verlor, disponierte sie geschmeidig um, ist jetzt Vorstandschefin der großen Barmer Ersatzkasse (BEK).
Frauen am Drücker: Wie Kerstin Abraham, Geschäftsführerin des städtischen Entsorgers USB. Wie Anja Kappel, Geschäftsführerin der Baufirma Kappel, die das Gelände „Seven Stones“ erschloss und die Polizeiwache Südost als Mieter hat. Wie Heike Schmidchen als Kanzlerin der Ev. Fachhochschule. Wie Dr. Ingrid Wölk , die das Stadtarchiv führt.
Auch ganz vorn: Prof. Anne Friedrich, Präsidentin der neuen Hochschule für Gesundheit. Sevim Dagdelen, MdB der Linkspartei. Petra Funke, Leiterin des Kinderheims St. Vinzenz. Kess: Anna-Lena Orlowski, Spitzenkandidatin der Bochumer Linken, gerade nach Berlin gewechselt.
Selbstbewusste Frauen brauchen nicht immer einen Chefposten: Wie Christel Darmstadt, die Kunsthistorikerin als Kirchenretterin.
Bochum ist weiblich und selbstbewusst. So scheint es. Doch wen es tröstet: Der Propst, Gottlob, ist immer noch ein Mann.