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Mit Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass war ein literarischer Hochkaräter im Schauspielhaus zu Gast. Das Publikum applaudierte dem Schriftsteller für seinen Roman „Grimms Wörter“, aber es feierte auch eine lebende Legende.

„Zur Signierstunde mit Günter Grass?“ „Bitte, hier rechts herum. Aber jeder nur ein Buch!“ – Nicht expressis verbis, aber in diesem Sinne waren die Worte von Gerd Herholz, dem Leiter des Literaturbüros Gladbeck, am Dienstagabend an das Publikum gerichtet. Schon vor der Lesung von/mit Günter Grass, die das Literaturbüro in Kooperation mit der Ruhr2010-Reihe „Mehr Licht!“ ins Werk gesetzt hatte, machte der Literaturexperte auf diesen Umstand aufmerksam: man wollte doch, bitte, nach der Veranstaltungn nicht mit ganzen Grass-Sammlungen dem 82-jährigen Dichter lästig fallen. Nur ein Buch pro Lesegast zu signieren sei gewünscht, er müsse darum bitten.

Groß, herzlich und einnehmend

Herholz sprach aus Erfahrung, denn es war nicht seine erste Veranstaltung mit dem großen G.G. Literaturagent wie Autor wussten also nur zu gut, wie groß, herzlich und einnehmend der Zuspruch des Publikums ausfallen würde. Und so kam es dann auch.

800 Besucher im Schauspielhaus – ausverkauft! Als Grass zehn Minuten später als angekündigt um 20.10 Uhr die Bühne im Großen Haus betritt, brandet ihm ein Applaus entgegen, den Thomas Mann wohl als „wärmste Akklamation“ bezeichnet hätte

Günter Grass in Bochum

Mittwochabend war Günter Grass zu Gast im Schauspielhaus Bochum Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
Mittwochabend war Günter Grass zu Gast im Schauspielhaus Bochum Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool
Auf Einladung der Literarischen Gesellschaft las der Autor aus seinem Buch
Auf Einladung der Literarischen Gesellschaft las der Autor aus seinem Buch "Grimms Wörter" . Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool
Im Schauspielhaus signierte der Träger des Literatur-Nobelpreises auch Bücher. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
Im Schauspielhaus signierte der Träger des Literatur-Nobelpreises auch Bücher. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool
In seinem Werk erzählt Grass das Leben der Brüder Grimm auf einzigartige Weise als Liebeserklärung an die deutsche Sprache und die Wörter, aus denen sie gefügt ist. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
In seinem Werk erzählt Grass das Leben der Brüder Grimm auf einzigartige Weise als Liebeserklärung an die deutsche Sprache und die Wörter, aus denen sie gefügt ist. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool
Spielerisch-virtuos er dem Reichtum der deutsche Sprache nach und durchstreift die deutsche Geschichte seit der Fürstenherrschaft und den ersten Gehversuchen der Demokratie. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
Spielerisch-virtuos er dem Reichtum der deutsche Sprache nach und durchstreift die deutsche Geschichte seit der Fürstenherrschaft und den ersten Gehversuchen der Demokratie. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool
Der Andrang war groß. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
Der Andrang war groß. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool
Weitere Bilder vom Abend im Schauspielhaus Bochum. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
Weitere Bilder vom Abend im Schauspielhaus Bochum. Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool
Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
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Natürlich ist Grass nicht nur als Schriftsteller unverkennbar, sondern auch als Typ. Ockerfarbiger Anzug, weinroter Pullover, Lesebrille, und nach wie vor der einst patzige, heute unvermeindliche Schnauzschnorres. Grass hält sich nicht mit Vorreden auf, sondern fängt gleich an. Er liest aus seinem neuen Buch „Grimms Wörter“ vor; drei Auszüge bringt er zu Gehör, er liest im Stehen von den Wegen und Wirren der Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm mit routinierter Leidenschaft, einfühlsam, distanzlos, wobei er manchmal seinen Vortrag mit den Gesten seiner Arme umfächert, fast wie ein Dirigent. Zur Erfrischung steht eine Flasche guten Rotweins nebst Glas griffbereit.

An einem Buchstaben abarbeiten

So sitzt man also und lauscht einer Legende, die man niemals stören würde bei der intimen Begegnungen zwischen dem Sprachschöpfer und seinem Material. Von manchen Kritikern ist „Grimms Wörter“ als nur sentimentale Reise eines rüstigen Rentners, der im Alter noch einmal das Reich der Sprachgeschichte durchmessen will, abgekanzelt worden. Das Buch stecke, so las man, voller kleiner und größerer Übergriffe, wobei der Alliterationswahn, der sich jeweils an einem Buchstaben abarbeitet, noch zu den harmlosen Delikten gehöre: „Danach wurde im Schweiße des Angesichts nur noch geackert, Arbeit im Takt nach Akkord, und deren Mehrwert abgeschöpft, bis abgesahnt nichts mehr da war. Ach, Alter Adam!“

Auch die gewisse Penetranz, mit der sich der Zeitreisende Günter Grass permanent selbst ins Bild drängelt, wurde moniert. Tatsächlich feiert der Autor nicht nur die Gebrüder Grimm und mit ihnen eine „Liebeserklärung an die deutsche Sprache“, sondern stets auch sich selbst. Da stellt er sich etwa neben den jungen Jacob und weist ihn auf Felix Mendelssohn-Bartholdy hin, da nimmt er in einem imaginären Seminar neben Großkopfeten wie Herder, Hegel, Schleiermacher Platz.

Den Mythos gefeiert

Kann sein, dass dies Probleme des Romans sind. Aber eine wie auch immer geartetet literaturkritische Haltung war bei der Schauspielhaus-Lesung nicht zu erwarten. Hier wollte keiner den besserwisserischen Büroboten aus dem Marbacher Literaturarchiv spielen, vielmehr wollte man einen Helden feiern. Grass, den Nobelpreisträger, die lebende Legende, den letzten Säulenheiligen unserer Literatur. Tatsächlich gibt es aktuell keinen deutschen Schriftsteller, der bekannter wäre als Günter Grass. Das Publikum weiß das, und feierte den Mythos ausführlich.

Nach fast 90 Minuten Leseleistung gab es drei „Vorhänge“ für den Altmeister, danach standen die Leute in Trauben um den Signiertisch, wo G.G. sich exakt die Zeit nahm, die er brauchte. „Bitte rechts herum. Und jeder nur ein Buch!“