Bochum.

Jan Bosse stemmt bei der Ruhr Triennale eine Dramatisierung der „Blechtrommel“ nach Günter Grass. Dabei macht er gar nicht erst den Versuch, Oskar leibhaftig auf die Bühne zu bringen.

„Solange wir noch Geschichten erzählen, leben wir“, schreibt Günter Grass in seinem Buch „Hundejahre“. Der Autor selbst hat mit der „Blechtrommel“ sein wohl prallstes Geschichtenbuch vorgelegt, einen barocken Großroman, 50 Jahre deutscher Geschichte, erzählt aus der Perspektive eines kleinwüchsigen Rebellen namens Oskar Matzerath. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn Armin Petras das Prinzip „Erzählen“ nun bei seiner Dramatisierung des Stoffes für die Bühne herausstellt.

Er macht gar nicht erst den Versuch, Oskar leibhaftig auf die Bühne zu bringen. Dafür ist die Darstellung durch David Bennent in Volker Schlöndorffs Verfilmung wohl einfach zu kongenial und präsent. Oskar mit seiner Trommel, das ist in dieser Version deshalb jeder der sieben Schauspieler, die dadurch neben ihren anderen Rollen immer auch eine Art Doppelleben führen und dem kleinwüchsigen Trommler so stets wechselnde Charakterzüge mitgeben. Klingt komplizierter, als es sich jetzt bei der Uraufführung durch Jan Bosse bei der Ruhr Triennale in der Bochumer Jahrhunderthalle darstellt.

Gratwanderung über weite Strecken bravourös gemeistert

Die Schauspieler vom Maxim Gorki Theater in Berlin schaffen diese Gratwanderung über weite Strecken bravourös. Man hört gerne zu, wenn sie abwechselnd in langen Monologen zu erzählen beginnen, während auf einer Projektionsfläche im Hintergrund der bunkerartigen Bühne von Stéphane Laimé alte Fotos projizierte werden. Es sind allesamt alte Privataufnahmen aus der Zeit und dem Pommern des Buches, die den Grass’schen Fiktionen so etwas wie einen dokumentarischen Hintergrund liefern.

Bosse gelingt es über lange Distanz tatsächlich, den Zu-schauer mit einer exakten Komposition aus starkem (Grass-)Text und packenden Bildern von der Notwendigkeit dieser Bühnenfassung zu überzeugen. Wenn beispielsweise der Nazi Kobyella auftritt und alle Mitwirkenden nach und nach mit ihm zu einer Art braunen Medea verschmelzen, dann weiß man, dass man die Verführung eines Volkes noch nie derart sinnlich und sexy erlebt hat. Und wie er die Aale, die aus dem abgetrennten Kopf eines Pferdes gleiten, kurzerhand mit Weingummi-Schnüren ins Groteske verkehrt, zeugt von Einfallsreichtum.

Irgendwann jedoch kommt der Punkt, da die über mehr als drei Stunden reichende Aufführung sich die Frage nach ihrer Notwendigkeit dann doch stellen lassen muss. Wenn man etwa feststellt, dass die Charaktere wegen Doppelbesetzung der Schauspieler und dem ewig anwesenden Oskar zu wirklicher Tiefe nie finden können. Was am An-fang noch so klar konturiert erschien, verwäscht mit der Zeit immer mehr, lässt Übergänge kaum noch erkennen. Dazu passt, dass das Ensemble mehr und mehr dazu übergeht, aus den Rollen zu fallen, um dem Publikum deutlich zu machen, dass bloß Theater ist, was hier gespielt wird.

Am Anfang, 1899, regnen noch Kartoffeln aus dem pommerschen Himmel, weil alles nun mal an einem Kartoffelacker seinen Anfang nimmt. Im Krieg dann hat der Bunkeraufbau der Bühne zwar endlich seine Bestimmung gefunden, ist aber nur noch eine zu-gemüllte Landschaft, Refugium für eine Schauspieltruppe, die so tut, als beschäftige sie sich noch mit der „Blechtrommel”. Tatsächlich aber beschäftigen sie sich nun hauptsächlich mit sich selbst, die Inszenierung wirkt zunehmend unkonzentriert.

Hausputz steht an

Als Schlöndorff sich bei seiner Oscar-gekrönten Verfilmung dazu entschloss, den Nachkriegsteil des Romans zu missachten, da war das vielleicht auch eine Zeitfrage, vor allem aber das Erkennen des Bruchs, den das mit sich bringen würde. Petras und Bosse schreckt das nicht ab: Es wird Hausputz gemacht, neue Kleidung getragen und ein erschöpftes Publikum wird mit Videoaufnahmen konfrontiert, in denen Oskar in siebenfacher Gestalt von seinem weiteren Schicksal er-zählt. Eigentlich wirkt dies alles nur noch wie ein lästiges Anhängsel. Der Applaus? Begeisterung klingt anders.