Essen. Die Autoren nach dem Krieg waren aufrecht, kämpferisch, politisch. Die beiden Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll und und Günter Grass verkörpern diesen Geist.

Als der Krieg zu Ende war und nicht nur aus den Trümmern der Städte, sondern auch aus den geistigen Scherben des Dritten Reiches zusammen zu suchen war, was von Wert geblieben war, musste sich auch die Kunst neu finden. Nicht wenige ihrer Vertreter hatten sich mit den Nazis verbündet; es waren nicht die Besten, aber auch Gottfried Benn war unter ihnen, eine Zeit lang. Einige waren Soldaten geworden, einige fahnenflüchtig.

Die Älteren waren in die Emigration gegangen wie Brecht und die Brüder Mann, oder sie hatten sich in „innerer Emigration” weggeduckt, so gut es ging. Erich Kästner schrieb 1942 unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ das Drehbuch zu dem Ufa-Film „Münchhausen”. Wer dürfte ihn verurteilen?

Kein Schlussstrich - aber eine klare Linie

Nach '45 hatte die Kunst einen schweren Auftrag, und sie nahm ihn an. Nach den Brekers, Vespers und Harlans, aber auch nach Gründgens, Rühmann und Orff musste eine klare Linie gezogen werden. Kein Schlussstrich. Aber die Kunst musste aus sich selbst heraus zeigen, dass ihre so genannte Entartung eine gespenstische Vision böser Köpfe war, Geister, die der Freiheit der Kunst so angstvoll wie arrogant begegnet waren.

Und die Kunst erwies sich als stark; die deutsche Literatur war nach dem Zusammenbruch geprägt von dem Willen, das allgemeine Verdrängen zu stören. Die Großen dieser Zeit – Lenz, Walser, Böll, Grass – waren eines kritischen Geistes: fragend, unbeirrbar. Aufrecht. Linksliberal. Vier unterschiedliche Autoren, von denen keiner bereit war, die junge Republik machen zu lassen, was sie und Adenauer wollten.

Nobelpreis für zwei politisch aktive Autoren

Und sie beließen es nicht beim Schreiben, sie engagierten sich tatkräftig: Lenz, Walser und Grass ergriffen Partei für Willy Brandt, Böll ging einen anderen Weg. Er nahm mutig Stellung zur RAF und setzte sich dem wütenden Vorwurf des „geistigen Sympatiesantentums” aus. Später bot er den sowjetischen Dissidenten Alexander Solschenizyn und Lew Kopelew Unterkunft.

Warum wurden Heinrich Böll und Günter Grass Nobelpreisträger und andere nicht? Das weiß nur die Stockholmer Jury, die den Preis nach dem Willen Nobels an den vergeben soll, der „das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen hat“. Dass sie zwei politisch aktive Autoren wählte, die sich entschieden für Moral und Demokratie einsetzten, mag Zufall sein. Aber vielleicht sind ja die in der Gesellschaft verorteten Kreativen die künstlerisch Überzeugenderen.

Heinrich Böll, Autor der kleinen Leute

Böll war der gute Mensch vom Rhein, der Autor der kleinen Leute, der den Katholizismus im Herzen trug. In den 50er und frühen 60er Jahren wurde er nicht müde, vom Krieg und seinen Folgen zu erzählen, er schrieb über die alten Machtstrukturen, die immer noch funktionierten („Ansichten eines Clowns”) und über die seelische Verkrüppelung derer, die den Krieg überlebt hatten („Billard um halbzehn”).

In den 70ern stellte er sich den neuen Konflikten der Gesellschaft als rastloser Kritiker. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum” war ein Angriff auf die Bild-Zeitung, und in einem Artikel für den „Spiegel” schrieb er über Ulrike Meinhof. Am Ende seines Lebens bekannte er sich mit all seiner Vehemenz zur Friedensbewegung.

Günter Grass und seine anarchische Lust

Wo Böll ein Mitleidender war, wütet Grass. Er fabuliert mit anarchischer Lust (wobei Böll das Anarchische nicht fremd war), sein großer Wurf war die „Blechtrommel”, vor allem der erste Teil. Doch der ist so stark, dass er für ein ganzes Dichterleben reicht. Er lieferte auch das politische Symbol: Seit den 60ern trommelte Grass für die SPD.

Dass er neben vielem anderem eine ganz und gar politische Erzählung schrieb, „Tagebuch einer Schnecke”, ist literarisch fast revolutionär. Dabei hatte er es nicht mit der Revolution; die 68er haben es ihm nicht verziehen. Doch sein Anliegen war wie ihres, das Fortwirken der Nazis zu thematisieren. Dass heute ein einziges Buch, „Beim Häuten der Zwiebel”, Grass' Verdienste überschattet, ist tragisch. Er hatte wohl geglaubt, sein Eingeständnis, dass er Mitglied der Waffen-SS war, werde mit Achtung aufgenommen.

Die deutsche Literatur war einmal hochpolitisch, darauf hat sie sich in 20 Jahren der Einheit nicht wieder besonnen. Die Ansätze, sich mit den beiden Deutschland literarisch zu befassen, sind schwächer als alles, was die Alten geleistet haben. Womöglich ist, zumindest im Westen, die Betroffenheit nicht so stark, dass es zur Literatur reicht.

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