Bochum.
Anklageverlesung im Wettskandal: Bei 31Spielen im In- und Ausland soll eine Wettmafia durch Manipulation rund 1,5 Millionen Euro erzielt haben. Die Spanne der mutmaßlich infiltrierten Spiele reicht von der 2. Liga bis in die Ober- und Jugendligen.
Es war ein lustiger symbolischer Zufall, dass Staatsanwalt Andreas Bachmann für die Verlesung seiner Anklage gegen vier Männer genau so viel Zeit brauchte wie ein Fußballspiel: 90 Minuten. Auf 40 Seiten listete er mutmaßliche Schurkenstücke aus Europas bisher wohl größtem Fußball-Wettskandal auf: Er nennt angeblich korrupte Spieler und Schiris, verschobene Spiele - und Schmiergelder, Wetteinsätze, Wettkombinationen und Wettgewinne.
Bei 31 Spielen im In- und Ausland soll eine Wettmafia über 350 000 Euro Schmiergeld aufgewandt haben, um das Ergebnis nach ihrem Wunsch zu manipulieren, knapp zwei Millionen Euro auf diese Spiele gesetzt und rund 1,5 Millionen Euro reinen Gewinn erzielt haben.
1. Fußball-Bundesliga offenbar nicht betroffen
Die 1. Bundesliga taucht in den Anklagen nicht auf. Die mutmaßlich infiltrierten Spiele reichen von der 2. Liga bis in die Ober- und Jugendligen, fast alle im Jahr 2009. Da ist zum Beispiel das DFB-Pokalspiel des VfB Speldorf gegen RW Oberhausen am 2. August 2009. Endstand: 0:3. Einem Speldorfer Kicker, meint der Staatsanwalt, seien 20000 Euro geboten worden, wenn er das gewünschte Ergebnis herbeiführe. Das klappte der Anklage zufolge. 87 000 Euro Gewinn sollen die Wettbetrüger eingefahren haben.
Oder das A-Jugend-Spiel des VfL Bochum gegen Arminia Bielefeld am 31. Oktober 2009: Je 1000 Euro habe die Bande vier Spielern der Gäste angeboten, damit sie extra verlören. Auch dies klappte. Wettgewinn: 10 800 Euro.
Aber längst nicht immer ließ sich der Ball wie von der Bande offenbar erhofft dirigieren: Als die Bielefelder A-Jugend bei Schalke 04 gespielt habe, seien zwar 15000 Euro in einige wenige Gästespieler investiert worden. Aber die Bielefelder siegten trotzdem - mit 2:1. Ein Verlustgeschäft, das mit neuen Wettbetrügereien refinanziert werden musste, wie es hieß.
17 deutsche und 14 ausländische Spiele im Fokus
Die Anklage listet 17 deutsche und 14 ausländische Spiele auf, aus Kroatien, Ungarn, Belgien und der Schweiz. Bei den deutschen Spielen werden besonders oft die Vereine Bayern Alzenau, SC Verl und VfL Osnabrück genannt. Mehrere Spieler dieser Clubs sollen geschmiert worden sein. Mehrfach fällt dabei auch der Name Thomas Cichon. Er soll sich damals mit dem Abstieg seines VfL Osnabrück bereits abgefunden und dies durch Bestechlichkeit ausgenutzt haben, wie es hieß. Gegen ihn wird noch weiter ermittelt. Ein damaliger Vereinskollege ist bereits Ende 2009 per Strafbefehl zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.
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Auch Schiedsrichter tauchen in der Anklage höchst unsportlich auf. Der bosnische Schiri Novo Panic soll 60.000 Euro Schmiergeld angenommen haben, damit er das U21-Länderspiel der Schweiz gegen Georgien verpfeift. Auch dabei soll ein Angeklagter die Finger im Spiel gehabt haben. Ein zweiter Schiedsrichter aus der Anklage heißt Oleg Oriekhov. Für 50.000 Euro habe der Urkainer die Europa-League-Begegnung des FC Basel gegen CSKA Sofia manipuliert. Wettgewinn laut Anklage: satte 209.000 Euro.
Angeklagte wurden noch nicht befragt
Vier Angeklagte sitzen vor der 13. Strafkammer: der Türke Nürettin G. (35) aus Lohne in Niedersachsen, der Türke Tuna A. (55) aus Mönchengladbach, Stevan R. (35) aus Lippstadt (Serbe und Montenegriner) sowie der Deutsche Kristian S. (32) aus Schweinfurt. Dieser war Profi-Fußballer. Er soll Spieler anderer Vereine zum Betrügen überredet haben.
Alle vier schmoren bereits seit November 2009 in U-Haft. Damals hatte die Bochumer Staatsanwaltschaft eine Großrazzia gestartet. Auf den Wettskandal aufmerksam wurde sie nur durch Zufall: Bei Telefonüberwachungen im Drogenmilieu hörten die Ermittlern auch etwas von manipulierten Fußballspielen.
Mittwoch wurde nur die Anklage verlesen. Die Angeklagten wurden noch nicht befragt. Zumindest zwei sollen aber geständig sein. „Wir möchten das Verfahren so schnell wie möglich zu Ende bringen“, sagte ein Verteidiger.
Der Gesamtkomplex wird die Staatsanwälte aber noch sehr viele Monate beschäftigen. Mehr als 270 Spiele und über 250 Personen stehen unter Betrugsverdacht. Die Tatverdächtigen kommen auch aus dem Ruhrgebiet. Und immer wieder fiel gestern der Name des Kroaten Ante Sapina - der Strippenzieher aus dem Fall des Schiris Robert Hoyzer. Ante Sapina sitzt jetzt wieder in U-Haft.