Bochum. Mit „Pulse!“ zeigt Star-Trompeter Till Brönner im Schauspielhaus Bochum ein mitreißendes Stück über das Ruhrgebiet – spielt aber selbst kaum mit.
Das nennt man wohl einen Wurf: Mit einer rauschhaften Tanzperformance wagen sich die Choreografin Nicole Beutler und der prominente Jazz-Trompeter Till Brönner im Schauspielhaus Bochum an ein schwieriges Thema: an das bunte, vielfältige, aber keinesfalls leichte Leben im Ruhrgebiet. „Pulse!“, so der Titel, besitzt eine solche Poesie, Energie und Fantasie, dass es das Publikum im rappelvollen Saal nach rund einer Stunde schier von den Sitzen reißt – und dies, obwohl sich der Star des Abends kurioserweise kaum blicken lässt.
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Tanzstück „Pulse!“ lässt Publikum in Bochum jubeln
Eine Botschaft auf dem Bildschirm am linken Bühnenrand gibt zu Beginn einige Rätsel auf. „75 Prozent“ steht darauf, was mag das bedeuten? „Vielleicht ist die Vorstellung zu 75 Prozent ausverkauft“, schätzt der junge Mann in Reihe 9. Weit gefehlt, die Zahl besitzt tiefer liegenden Sinn. Denn auf dem Platz vor dem Theater sind drei große Solarpanel aufgebaut, denen an diesem Abend eine wichtige Rolle zukommt. Sie speisen die 170 bunten Lichtröhren im ansonsten recht finsteren, aber nachhaltig gedachten Bühnenbild von Eva-Veronica Born mit Sonnenenergie – und weil in diesem Sommer bislang nur gelegentlich die Sonne scheint, sind sie halt bloß zu 75 Prozent aufgeladen.
Ein Stück über das Ruhrgebiet zu erzählen, mit Musik, Tanz, schönen Bildern und möglichst frei von gängigen Klischees: Das ist nicht ohne Risiko. Zumal die in Amsterdam lebende Nicole Beutler und der aus Berlin angereiste Musiker Till Brönner höchstens den Blick von außen mitbringen, auch die achtköpfige Tanztruppe stammt aus Ländern wie Portugal, den Philippinen und Litauen. Und bekanntlich mag der Ruhrgebietler kaum etwas weniger als Leute aus der Ferne, die ihnen erklären wollen, wie das Leben hier läuft. Skepsis scheint also angebracht.
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Doch die haben sich schon nach wenigen Minuten in Luft aufgelöst: Denn so freigeistig, ungezwungen und dabei wunderbar sympathisch hat schon lange keiner mehr vom Kohlenpott erzählt wie die bunte „Pulse“-Truppe. Die Bilder, die sie finden, sind so schlicht wie schön. „Erwachen“ heißt der erste Teil: Während ein Tänzer in Rollschuhen über die Bühne flitzt wie Rusty, die nimmermüde Dampflok aus dem „Starlight Express“, schälen sich die anderen mit anmutigen, kreisrunden Bewegungen aus einer Art Dämmerschlaf.
Die Musik, die dazu vom Tonband erklingt, ist exzellent: Pulsierende Elektrobeats, ein Meer aus Geigen und Brönners gelegentlich einsetzendes Trompetenspiel, das leicht wehmütige Akzente setzt, treiben die Szenen voran. Von Pionieren wie „Kraftwerk“ ist der Soundtrack ebenso beeinflusst wie von Stilrichtungen wie Trip-Hop und Ambient, die vor allem in den 90er Jahren für wohlige, sphärische Klänge sorgten.
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Schweißtreibende Maloche
Dazu kreieren die acht begnadeten Tänzerinnen und Tänzer eine Reihe von Szenen, die fast unverschämt fröhlich und vorwärts gewandt vom Aufbruch in neue Zeiten erzählen. Nur ein kurzes Kapitel („Stahlkochen“) fasst die schweißtreibende Maloche zusammen, die das Leben im Ruhrgebiet schon immer bestimmt hat. Der große Rest ist eine einzige Feier des Lebens: vom Flashmob in einer Disco bis zu wunderbar poetischen Momenten in weißem Konfetti.
Brönners Blitzauftritt wie einst bei Alfred Hitchcock
Wer derweil auf ein Till-Brönner-Konzert gehofft hat, wird enttäuscht: Als wär’s ein Blitzauftritt von Alfred Hitchcock, lässt der Star-Trompeter nur in den letzten zwei Minuten sein edles Instrument erklingen. Das hätte er sich eigentlich sogar schenken können, aber ohne ein prominentes Zugpferd wären die drei Vorstellungen in Bochum wohl kaum so schnell ausverkauft gewesen. Stehende Ovationen.
Nur drei Vorstellungen in Bochum
Die Performance „Pulse!“ entstand als Auftragswerk der Brost-Stiftung und ist nur bei drei Aufführungen im Schauspielhaus Bochum zu sehen, die allesamt ausverkauft sind. Die weiteren Vorstellungen: 8. und 9. Juni. Restkarten möglicherweise noch an der Abendkasse. Ob es weitere Spieltermine in anderen Städten geben wird, ist noch unklar.
Bereits im Jahr 2018 war Till Brönner für die Brost-Stiftung im Ruhrgebiet unterwegs und streifte mit seiner Kamera durch die Städte zwischen Rhein und Ruhr. Daraus entstand die viel beachtete Fotoausstellung „Melting Pott“ in Duisburg.