Bochum. Sie sind unverzichtbar: Vor der Einschulung muss ein Tornister her. Viele Familien aus Bochum können sich den Kauf aber kaum noch leisten.
- Viele Eltern, deren Kind im Sommer eingeschult wird, kaufen ihren Kindern bereits im Frühjahr den Ranzen
- Für die Grundausstattung werden mehrere Hundert Euro fällig
- Nachgefragt bei der „Kleinen Raupe“: Warum sind Ranzen so teuer und worauf muss man beim Kauf achten?
Aufgeregt sitzt Maja (Name geändert) mit ihrer Mutter und Oma in der Beratungsecke des Spielwarenladens „Kleine Raupe“ in Bochum-Wattenscheid. Sie ist eins von hunderten Kindern, die ab August in die Grundschule kommen. Für viele unverzichtbar: Der Kauf eines Schulranzens vor der Einschulung, der sie über vier Jahre begleiten wird.
Die Erwartungen sind hoch: Der Tornister soll den Rücken schonen, ausreichend Platz für Bücher, Stifte und Pausenbrot bieten und nicht zuletzt gut aussehen. Das müssen sich die Eltern einiges kosten lassen: Rund 280 Euro zahlen sie für einen Ranzen. Immerhin: Inbegriffen ist ein optisch passendes Set aus Federmäppchen, Schlamperrolle und Turnbeutel.
Schulranzen als High-Tech-Arbeitsgerät
Der Grund für den augenscheinlich hohen Preis: „Der Ranzen ist mittlerweile ein High-Tech-Gerät. Das Original war quadratisch, praktisch, gut so wie Rittersport“, sagt Michael Pira, Inhaber der „Kleinen Raupe“ – aber auch ungesund für den Rücken. Um die Kinderrücken zu schonen, habe sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert: atmungsaktive Polster, ein ergonomisches Rückensystem, höhenverstellbare und entlastende Tragegurte, ein geringes Gewicht und dazu ein ansprechendes Design.
Diese ergonomisch durchdachten Systeme erinnern an Trecking-Rucksäcke – und kosten dementsprechend. Ein weiterer Grund für die Preise seien die gestiegenen Produktionskosten, so Mitinhaberin Gerlinde Lehrian.
Nicht jeder kann sich einen teuren Schulranzen leisten
Für das Rückenwohl ihrer Kinder geben die meisten Eltern gerne das notwendige Geld aus. Doch nicht jeder kann sich das leisten. Damit nicht die Kinder darunter leiden, arbeitet die Kleine Raupe mit einem Förderverein der nahelegenen Kita und mit Kinderhäusern in Gelsenkirchen und Bochum zusammen. Außerdem haben sie die preisgünstigere Marke Belleville mit ins Sortiment genommen – ein Tornister kostet hier knapp 100 Euro weniger als von den beliebten Marken Ergobag oder Step by Step.
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Hochphase der Verkäufe von Dezember bis August
Die hohen Kosten tun dem Andrang auf die Schulranzen keinen Abbruch, sagt Lehrian: Schon im Dezember habe die Hochphase der Tornisterverkäufe begonnen, die bis zur Einschulung im August andauere. Das große Interesse an Schulränzen von der Kleinen Raupe begrenzt sich nicht nur auf Familien aus Bochum. Auch aus Nachbarstädten und ganz Deutschland kommen Menschen zum Ranzenkauf in die Westenfelderstraße. Die bislang längste Anreise war aus der Schweiz.
Insbesondere die Samstagstermine seien begehrt. Für Lehrian liegt das auch an dem großen Druck, der bei Eltern aufgebaut wird: „Eltern denken, dass Tornister schnell ausverkauft sind und sie sich beeilen müssen.“ Das stimme aber nicht: „Auch kurz vor der Einschulung haben wir noch 200 bis 300 Tornister im Lager.“ Eine ausreichende Auswahl also – auch für Kurzentschlossene.
Das sind die Trends bei Ranzen: Was hat sich geändert?
Ob ozeanblau oder olivgrün, mit Sternen, Blumen oder motivlos – die Bandbreite an Designs ist riesig, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Der Trend sei, auf feste Motive zu verzichten und stattdessen auf Farbe zu setzen, so Lehrian. Durch wechselbare Elemente wie Embleme, die je nach Marke mit Klett oder durch Magnete am Ranzen befestigt werden, heben sich die Tonnen ab. Auch beliebt: Pixel Blades, ein Display, das mit leuchtenden Motiven selbst bespielbar ist.
C02-neutral produziert, größtenteils recyclefähig oder aus Ozeanplastik gefertigt: Auch das Thema Nachhaltigkeit finde sich zunehmend in der Ranzen-Industrie. Im Kommen seien auch Naturmaterialien wie Bananenfasern oder Kaffeesatz. Das lassen sich die Hersteller mit 100 Euro mehr bezahlen.
Ein Großteil der Ranzen wird derzeit aus PET-Flaschen gefertigt, das ist aufgrund der hohen Energiekosten und langen Transportwege allerdings gar nicht so nachhaltig, wie es zunächst scheint.
Der richtige Tornister: Was soll beim Kauf von Schulranzen beachtet werden?
Brotdose, Hefte und Etui: In einen Schulranzen muss viel reinpassen. Daher sollte der Ranzen gut sitzen und leicht sein. Die Profis im Fachgeschäft sehen schnell, ob er zu dem jeweiligen Kinderrücken passt: Steht das Kind gerade, kann es sich entspannt hinsetzen und aufstehen, ohne ins Straucheln zu kommen, gegenarbeiten zu müssen oder zu verkrampfen. Wenn ein Kind zum Beispiel eine Geier-Haltung einnimmt, also den Kopf nach vorne streckt, könne das auf eine Überlastung hindeuten, sagt Lehrian.
Damit die Kinder mit einer gut sitzenden Tonne in die Schule gehen, nehmen sich die Beraterinnen und Berater in der Kleinen Raupe pro Kind eine ganze Stunde Zeit. Das Ziel: Auf das Kind eingehen und den passenden Ranzen aus insgesamt 22 Modellen von neun Firmen finden.
„Nur wer den Rücken stark hat, kann gut lernen.“
Das Motto der Kleinen Raupe ist „Rückenstark in die Schule.“ „Nur wer den Rücken stark hat, kann gut lernen. Uns ist wichtig, dass die kleinen Menschen entspannt in die Schule gehen“, so Lehrian. Ein Ranzen sei daher auch ein Arbeitsgerät.
Nach einer Stunde hat sich Maja entschieden: Stolz geht sie mit ihrem neuen Ranzen auf dem Rücken, ein Traum aus lilafarbenen Blumen, zur Kasse – und bald schon in die erste Klasse. (Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Februar 2024)