Bochum. Zehn-Stunden-Tage, hoher Krankenstand und kaum Zeit mit der Familie. Bogestra-Fahrer sehen sich stark belastet. Nun streiken sie erneut.

Dieser Text ist zuerst beim Streik der Bogestra im Februar 2024 erschienen.

Normalerweise säße Martina Gartner heute hinterm Steuer des 353 und würde Fahrgäste zwischen Sundern und Riemke befördern. An diesem Mittwoch aber steht die 60-jährige Busfahrerin der Bogestra im Foyer der Firmenzentrale an der Universitätsstraße in Bochum – und sie streikt. „Es muss sich etwas ändern“, sagt sie und spricht damit ihren etwa 1150 Kolleginnen und Kollegen des Fahrdienstes aus der Seele.

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Immer öfter müssen Fahrerinnen und Fahrer ihre Freizeit opfern

Neun bis neuneinhalb Stunden sitzen die Fahrerinnen und Fahrer von Bussen und Bahnen bei jeder Schicht vorne links im Fahrzeug. Damit ist es aber noch nicht getan. „Wenn ich morgens am Hauptbahnhof anfange, kann es gut sein, dass ich mittags während meiner eigentlichen Pause zum Betriebshof muss, um das Fahrzeug einer anderen Linie zu übernehmen. Abends endet meine Schicht dann in Langendreer, von wo ich wieder zurück zum Hauptbahnhof oder zu einem der Depots muss“, erzählt die Frau, die seit mittlerweile 17 Jahren Busse lenkt.

„So ein Arbeitstag hat dann schnell schon mal zehn bis elf Stunden“, sagt Kevin Miers. Der 40-Jährige ist sei 2010 Betriebsratsvorsitzender der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG, der Bogestra. Lange Fahrzeiten zur Arbeit und zurück haben auch Beschäftigte anderer Branchen. Aber bei Wechselschichten und durch das mittlerweile schon fast obligatorische Einspringen an freien Tagen für kranke Kollegen nimmt die Belastung ständig zu. Wer nach elf Stunden Dienst Schicht hat, könne elf Stunden später schon wieder „auf dem Bock sitzen“.

Krankenstand der Bogesta-Fahrer geht in Richtung 20 Prozent

„Es ist eine Spirale“, sagt der Betriebsratschef. Viel Arbeit, wenig Erholung, wachsender Krankheitsstand. Beim Fahrdienst der Bogestra, dessen Durchschnittsalter bei 48,8 Jahren liegt („In den nächsten Jahren gehen viele in Rente“) gehe der durchschnittliche Krankenstand in Richtung 20 Prozent.

Und der Überstundenberg wächst weiter an. 120 Überstunden seien keine Seltenheit, für das gesamte Fahrpersonal seien es mittlerweile etwa 80.000; durchschnittlich knapp 70 Überstunden für jede Fahrerin und jeden Fahrer. Sie könnten sie sich ausbezahlen lassen. „Aber das wollen die wenigsten“, so Miers. „Sie wollen ihre Zeit auch mit ihren Kindern, mit der Familie verbringen“, ergänzt Martina Gartner.

Corona hat Belegschaft noch mehr zusammengeschweißt

Dass es anders als bei benachbarten Unternehmen noch keine dauerhaften Einschränkungen des Leistungsangebots gibt, liege am Anspruch des Unternehmens und der Belegschaft, „das alles trotzdem zu stemmen“, sagt Miers. Die schwierigen Corona-Zeiten hätten den Zusammenhalt noch einmal deutlich gestärkt. Ein paar Monate lang seien die besonderen Belastungen zu stemmen. „Aber irgendwann ...“, beginnt der Betriebsratsvorsitzende den Satz, ohne ihn zu beenden.

Dem Unternehmen selbst macht er dabei gar keine Vorwürfe. Dem seien die Hände gebunden. Die finanziellen Möglichkeiten seien eben begrenzt. Und: Vor allem ließen sich keine Fahrerinnen und Fahrer aus dem Hut zaubern. „Dabei liegen wir im Branchenvergleich gar nicht schlecht.“ Dennoch sorgten Unterbesetzung, Urlaub und Krankheit dafür, dass an einem Tag mitunter 70, 80 Fahrerinnen und Fahrer fehlen. „Und für die müssen andere einspringen“, was die Zahl der Überstunden und die Gefahr von Überlastung und Krankheit nach oben treibt. Und wenn das nicht reicht, fallen Busse aus, was für Unmut bei den Kunden sorgt.

Verdi fordert kürzere Dienst- und längere Ruhezeiten

Lösen lässt sich das Dilemma aus Sicht des Betriebsrats und der Gewerkschaft nur, wenn der Job wieder attraktiver wird. „Deshalb stehen wir hier und kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen“, heißt es im Foyer der Bogestra-Verwaltung. Die viel beschworene Verkehrswende „benötigt auch eine echte Arbeitswende im Verkehr“, so Verdi. Nur so ließen sich mehr Frauen und Männer dafür begeistern, Bus und Bahn zu fahren – auf dem Platz vorne links.

So wie Martina Gartner. Sie fährt am Donnerstag wieder den 353 zwischen Sundern und Riemke.