Bochum. Kurz nach der Oscar-Nominierung steht Sandra Hüller wieder im Schauspielhaus Bochum auf der Bühne. Zuschauer erzählen, was sie an ihr feiern.
Überall raunen Besucher den Namen „Sandra Hüller“ durch das Bochumer Schauspielhaus. Menschenmassen strömen in das Theater, in dem das Ensemble in wenigen Minuten „Der Würgeengel“ aufführt. An der Abendkasse versuchen einige Besucher, noch Karten zu bekommen. Erfolg werden sie wohl nicht haben. Seit zehn Monaten läuft das Stück im Schauspielhaus, aber die Vorstellung an diesem Abend ist lange ausverkauft. Wohl spätestens, seit bekannt ist, dass Hüller für einen Oscar nominiert ist.
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Sandra Hüller, die in dem Stück eine tragende Rolle einnimmt, zieht die Menschen an. Annette Matthiesen und Christoph Cleve aus Dortmund haben wegen der Darstellerin Karten gekauft – unabhängig von ihrer Nominierung, aber jetzt sei das etwas Besonderes. „Sie ist einfach eine tolle Schauspielerin“, sagt Matthiesen. „Außerdem möchte ich sie singen hören“, ergänzt Cleve.
Sandra Hüller spielt wieder im Schauspielhaus Bochum auf der Bühne
Und der Gesang ist bemerkenswert: Teilweise haucht Hüller die Lieder mit glockenklarer Stimme, teilweise schreit sie sich die Seele aus dem Leib, zum Beispiel bei „Girls Just Wanna Have Fun“. Hüller sitzt zunächst hinten links auf der Bühne, klein, fast versteckt, aber nicht weniger unscheinbar in ihrem pinkfarbenen Kleid, mit den glitzernden Fingerringen und Ketten, der reflektierenden Handtasche, wie sie mit exzentrischer Mimik über das Publikum hinweg starrt.
In „Antigone“ haben Matthiesen und Cleve die Darstellerin schon gesehen, danach in „Anatomie eines Falls“. Matthiesen schätze an Hüller, „wie sie die Rollen ausfüllt und nicht eindeutig Position bezieht“. Bei „Anatomie eines Falls“ beispielsweise sei das Spannende, „dass man nicht weiß: Ist sie Täterin oder nicht?“ Den Film hat Regisseurin Justine Triet für Hüller geschrieben, die Schauspielerin verkörpert darin eine Autorin, die unter dem Verdacht steht, ihren Ehemann ermordet zu haben.
„Der Würgeengel“ lebt vom Zusammenspiel der Darsteller
Im Bochumer Schauspielhaus lachen im Publikum immer wieder Menschen, nicht zuletzt wegen Hüllers schrillem Gesang und dem wahnsinnigen Gerenne und Gehüpfe der Darsteller. „Der Würgeengel“ ist ein schräges, abstraktes Stück, das von den Dialogen und der Mimik der Schauspieler lebt, von ihrem Zusammenspiel und ihrer ganz eigenen Dynamik. Welche Bedeutung Hüller zu haben scheint, zeigt ein Satz, den Hüllers Spielpartnerin in einer Szene sagt: „Roman hat gesagt, wenn Sandra Schluss machen würde, dann wäre alles vorbei.“
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Das Zusammenspiel der Darsteller kommt auch beim Publikum an. Miriam Onescheit aus Bochum hat Ende November Karten für diesen Abend geholt, ihre Mutter und ihre Schwester sind extra aus Bielefeld und Köln angereist. „Sowohl Sandra Hüller als auch die Gruppe sind unglaublich stark“, sagt Onescheit.
Am Ende steht fast jeder Zuschauer im Bochumer Schauspielhaus
Nach dem Stück gibt es minutenlangen Applaus, Jubelschreie und Pfiffe hallen durch den Saal. Nach und nach erheben sich die Zuschauer von ihren Sesseln, bis am Ende fast jeder steht. Sandra Hüller wirkt überwältigt, fast ergriffen, greift sich immer wieder an den Brustkorb, presst ein paar Mal die Lippen zusammen. Vor allem aber scheint sie sich zu freuen, sie lacht jedes Mal, wenn die Darsteller auf die Bühne rennen und sich verbeugen.
Gernot Hess und Michael Groß aus Münster und Mülheim sind begeistert von Hüllers Darbietung: „Sie war so großartig und präsent, wie kaum jemand das sein kann. Ohne Sandra Hüller glaube ich nicht, dass wir gegangen wären.“ Die beiden Männer wollten sie schon in Shakespeares Hamlet gesehen haben, kennen sie bisher nur aus Filmen. Mit einem Theaterstück sei das aber nicht zu vergleichen: „Das ist ein riesiger Unterschied, was sich dabei überträgt.“
Dass Sandra Hüller die Nominierung für den Oscar verdient hat, darin sind sich hier scheinbar alle einig. Monika Paul aus Hattingen ist „Sandra-Hüller-Fan seit Toni Erdmann“. Sie schätzt „diese Spielfreude“ an Hüller, schon in Hamlet sei sie „super“ gewesen. Tanja Paul aus Mülheim ergänzt: „Was Sandra Hüller heute auf die Bühne gebracht hat, ist großartig und wunderbar uneitel.“
Sandra Hüller und die Oscars
Wer Sandra Hüller im Schauspielhaus in Bochum sehen möchte, hat im Februar und im März die Gelegenheit dazu. Am 29. Februar um 19.30 Uhr führt das Ensemble erneut „Der Würgeengel“ auf, Karten gibt es eventuell an der Abendkasse. Am 26. März folgt eine Vorstellung von „Hamlet“, ebenfalls um 19.30 Uhr. Der Vorverkauf beginnt am 1. Februar.
Sandra Hüller ist die erste Darstellerin am Bochumer Schauspielhaus, die für einen Oscar nominiert ist. Der Bochumer Lokalpolitiker Lothar Gräfingholt hat ihr dazu bei der Vorstellung am Samstag seinen Debüt-Roman „Die Colliers der Kanzlerin“ überreicht. Er handele von einer berühmten Frau, die immer wieder nach Bochum zurückkehre – ähnlich wie Hüller. „Ich finde es sehr schön, dass es auch Sandra Hüller immer wieder nach Bochum zieht“, sagt Gräfingholt.
Die 96. Oscars, für die unter anderem Hüller nominiert ist, werden am 10. März im Dolby Theatre in Los Angeles verliehen. Moderiert wird die Veranstaltung in diesem Jahr von Showmaster und Comedian Jimmy Kimmel, der die Gala bereits 2017, 2018 und 2023 präsentiert hat. ProSieben überträgt die Verleihung im Livestream auf seiner Internetseite und in der App. Die Oscars starten um 16 Uhr Ortszeit, in Deutschland ist es dann 12 Uhr nachts.