Bochum. Tierfreunde haben auf einer verwilderten Trasse in Bochum nach Igeln gesucht. Dort wird bald gerodet. Die Tiere sollen gerettet werden.

Jede große Erneuerung ist immer auch eine Zerstörung. Deshalb gingen am Samstag, bei eisigen Temperaturen und Nieselregen, 20 Frauen und Männer und eine Hündin in ein Stück Wildnis in Altenbochum. Sie wollten Igel vor dem möglichen Schredder-Tod retten und in Sicherheit bringen.

Die alte, seit vielen Jahren stillgelegte Opel-Bahntrasse wird ab dem kommenden Frühjahr in einen Rad- und Gehweg verwandelt. Kosten inklusive des Baus einer Brücke: mehr als 8,3 Millionen Euro. Um Platz auf dem Baufeld zu schaffen, werden in den nächsten Tagen Bäume und Sträucher entfernt. Dort könnten aber auch Igel leben, im Winterschlaf. Sie würden die Rodung wohl nicht überleben.

„Igel sind fast überall“

„Igel sind fast überall“, sagt der Tierfreund Hermann Trachternach aus Recklinghausen; er ist extra für die Suchaktion nach Bochum gekommen, nachdem man sich mit weiteren Igel-Schützern in den sozialen Medien verabredet hatte.

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An dem Suchtrupp nimmt auch Jette aus Witten teil, eine Goldendoodle-Hündin. Sie kennt sich mit Igeln aus. Eigentümerin Anja Thamm aus Witten sagt: „Wenn wir abends im Herbst über die Wiese gegangen sind, hat sie die Nase auf den Boden gedrückt und ist einer Spur gefolgt, bis zu einem Igel, und dies mehrfach.“ Das sei ihr in die Wiege gelegt worden.

Tierschützer stochern vorsichtig nach Igel-Nestern

Ausgestattet sind die Teilnehmenden nicht nur mit kleinen Tierboxen, in denen die Igel transportiert werden können, sondern auch mit robuster Kleidung sowie (Motor-)Heckenscheren, Astscheren, Rechen, Harken und Lampen. Schließlich ist das Gelände völlig verwildert und von äußerst stacheligen Brombeersträuchern durchsetzt. Mit den Scheren schneiden sie freie Sicht auf den Boden, mit den Harken stochern sie vorsichtig nach Nestern im Boden.

Hermann Trachternach, 
Tierschützer, im Einsatz mit einer Motor-Heckenschere zwischen DHL und A448.
Hermann Trachternach, Tierschützer, im Einsatz mit einer Motor-Heckenschere zwischen DHL und A448. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Es handelt sich um den schmalen Streifen zwischen der Südseite des riesigen DHL-Paketzentrums und der A448 nahe Markstraße. Noch liegen auf dieser Strecke alte Bahngleise, die früher auch von Opel genutzt wurden. Bäumchen sind dort inmitten und jenseits der Schwellen gewachsen. Das alles und das Gebüsch drumherum komm jetzt weg – für die Opel-Radtrasse. 31 Bäume müssen weichen, dazu rund 7000 Quadratmeter an Sträuchern in den Randbereichen. Unter den Sträuchern könnten aber auch Igel schlummern. Sie würden sterben oder ihr Zuhause verlieren.

Umweltamt begrüßt die Igel-Aktion

Begrüßt wird die Igel-Aktion auch vom Umwelt- und Grünflächenamt. Dessen Mitarbeiterin Andrea Baltussen sagt zwar: „Die Rodung ist gar nicht so wild. Es sind vor allem Brombeersträucher, die am Rand entfernt werden müssen. Vieles ist ja auch durch die Arbeiten entlang der A448 geebnet.“

Allerdings meint sie auch: „Die Igel umzusiedeln ist eine gute Idee. Artenschutz ist ja auch unser Thema, das zudem die ganze Planung begleitet hat.“

Der Bau der Opel-Trasse soll im Mai 2024 beginnen und rund ein Jahr dauern. Sie führt von der Alten Wittener Straße bis zum Bereich Springorumallee und dort auf die Springorum-Trasse. (noe)

Menschen verkleinern den Lebensraum der Wildtiere

Initiatorin der Rettungsaktion ist die Bochumer Tierfreundin Gabriele Seidel. Die Menschen würden den Lebensraum von Igeln und anderen Wildtieren immer mehr verkleinern, sagt sie. „Deshalb müssen wir auch Bereiche absuchen, die für Igel eigentlich nicht geeignet sind zum Überleben, um Nahrung zu suchen oder Winterschlaf zu halten.“ Wie an der Opel-Trasse.

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Die 20 bis 30 Zentimeter tiefen Mulden bestehen aus Blättern, kleinen Zweigen und Moos. Sie sind so speziell geformt, dass das Nest wind- und wasserdicht ist. „Sie sind richtige Baukünstler“, sagt Trachternach. Zu finden sind diese Nester nur schwer. Manche Blätteranhäufungen, die der Form von Maulwurfhügeln ähneln, entpuppten sich dann aber nur als Verwehungen. Ein Teil der Gruppe war auch im Bereich der Steinkuhlstraße auf der anderen, südlichen Seite der A448 unterwegs und suchte dort.

Jette, ein Goldendoodle, ist eine Igelsuchhündin. Auch sie war bei der Suchaktion in Bochum dabei.
Jette, ein Goldendoodle, ist eine Igelsuchhündin. Auch sie war bei der Suchaktion in Bochum dabei. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Igel wurden aber weder hier noch dort entdeckt, teilweise weil die Tierschützer auf Schotter unter den Sträuchern stießen. Igel brauchen aber eine Erdmulde. Am Sonntag suchten einige Igel-Freunde auch noch im Bereich Springorumallee/Prinz-Regent-Straße, wo die neue Trasse ebenfalls herführen wird. Auch dort wurde kein Stacheltier entdeckt.

Frank Weissee, 
Tierschützer, mit Gabriele Seidel, Intitiatorin der Aktion, bei der Suche nach Igeln.
Frank Weissee, Tierschützer, mit Gabriele Seidel, Intitiatorin der Aktion, bei der Suche nach Igeln. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Allerdings: Am Samstanachmittag erreichte die Gruppe die Nachricht, dass andere Tierfreunde bereits einige Tage zuvor fünf Igel im Bereich der Steinkuhlstraße in Wiemelhausen gefunden haben. Wie Gabriele Seidel sagt, sei einer gesund, die anderen aber krank, zwei davon wiesen auch Spuren von Rattenbissen auf. Die vier Patienten werden jetzt medizinisch versorgt, aufgepäppelt und erst einmal privat untergebracht.