Bochum. Jährlich 800 neue Wohnungen, davon 200 Sozialwohnungen. Das ist Bochums Ziel. Die Realität sieht anders aus. Kritiker fordern ein Umdenken.

Es hatte etwas von „blühenden Landschaften“. 9400 neue Wohnungen könnten bis 2025 in Bochum entstehen. Das jedenfalls verhieß eine Potenzialanalyse der Stadt aus dem Jahr 2018. Die Realität sieht anders aus: Tatsächlich gebaut wurden seitdem bestenfalls 2500 Wohnungen. Sind die Bemühungen Bochums, den Wohnungsmangel zu beheben, krachend gescheitert?

Handlungskonzept Wohnen in Bochum: Kritiker fordern eine Neuausrichtung

„Nein“, sagt die Stadtverwaltung. „Ja“, kontern die Kritiker. Und das nicht nur wegen der weit hinter den Erwartungen zurückgebliebenen Zahlen. „Der Neubau rettet es nicht“, sagt Angelika Wirtz vom Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung. Sie und weitere Mitstreiter, darunter auch der Mieterverein Bochum, fordern vielmehr eine Neuorientierung in der kommunalen Baupolitik.

Konkret geht es um das Handlungskonzept Wohnen. Ende 2017 vom Rat verabschiedet, sollte es die Neubautätigkeit ankurbeln, die Sanierung des Bestands fördern und dazu beitragen, dass Potenziale in der Innenstadt und Baulücken im gesamten Stadtgebiet genutzt werden. Ein zentrales Ziel: durchschnittlich 800 neue Wohnungen jährlich, davon 200 Sozialwohnungen.

In Bochum entstehen weniger neue Wohnungen als geplant

Sechs Jahre später ist die Bilanz aus Sicht der Kritiker ernüchternd. „Gebaut wurden in den vergangenen Jahren im Durchschnitt 568 Wohnungen“, heißt es. Viel zu wenige davon seien Sozialwohnungen. Und: Vermutlich ist der Bestand in der Stadt sogar noch gesunken. Denn: Das von der Stadt beauftragte Institut Empirica gehe davon aus, dass Bochum jährlich 0,5 Prozent seiner Wohnungen verliere. „Das sind 1000 Wohnungen im Jahr“, sagt Martin Kremer vom Mieterverein.

Und auch die anderen Maßnahmen hätten bislang nicht gegriffen. Von den einst 322 ausgemachten Baulücken in der Stadt Bochum seien nur wenige geschlossen worden. Auch die Bemühungen, die Sanierung des Altbestands zu fördern, blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Mehr als zwei Drittel des Wohnungsbestands ist älter als 50 Jahre. Ein Großteil befindet sich im Streubesitz, nur ein geringer Teil gehört Unternehmen, Genossenschaften oder Einzelvermietern mit einem größeren Bestand.

Potenzial der Sanierung von Altbauten ist groß

Die Kritiker plädieren für eine Neuausrichtung in Sachen Wohnen: „Wir brauchen ein niederschwelliges Angebot in den Quartieren“, sagt Angelika Wirtz. Das Potenzial bei der Sanierung von Häusern und Wohnungen sei immens, für viele Eigentümer aber auch eine große Hürde. Eine Wohnraumschutzsatzung müsse her, außerdem verlässliche Zahlen über den Abriss von Immobilien. Und: Natürlich auch weiterhin der Bau neuer Wohnungen; allerdings weniger auf der grünen Wiese als im Bestand – etwa durch die Aufstockung von Gebäuden – und mit einer stärken Ausrichtung auf bezahlbaren Wohnraum. Momentan werde zu sehr eine Klientel bedient, die schon jenseits der mittleren Einkommen liege. Mieten bis zu 18 Euro je Quadratmeter seien keine Seltenheit.

„Wer kann denn das bezahlen“, fragt Mietverein-Geschäftsführer Michael Wenzel – natürlich rein rhetorisch. Für einen Großteil der Mieter sei das unerschwinglich. Tatsächlich verfügten mehr als 50 Prozent der Bochumer über ein Einkommen, das den Bezug einer geförderten Wohnung – einer Sozialwohnung – rechtfertigen würde. Indes: Der Bestand an Sozialwohnungen in Bochum sinkt rapide, im Durchschnitt fallen jedes Jahr 450 aus der Mietpreisbindung. Selbst wenn also jährlich 200 neue Sozialwohnungen gebaut würden, der Bestand geht weiter in den Keller. Wenzels Fazit: „Es geht uns überhaupt nicht darum, schlechte Laune zu verbreiten.“ Und einiges sei auch auf einem guten Weg, dazu zähle auch die Entwicklung bei der von der Stadt beherrschten Wohnungsgesellschaft VBW. Aber der Fokus müsse sich ändern.

Neues Handlungskonzept Wohnen soll im zweiten Quartal 2024 vorliegen

Womöglich sind die Kritiker und die Stadtverwaltung Bochum gar nicht so weit auseinander. Zwar sieht die Stadt die Lage weniger düster. So seien die Zahlen beim Wohnungsneubau immerhin besser als etwa in den Jahren 2012 bis 2016, als lediglich 360 neue Wohnungen jährlich entstanden seien.

Aber es müsse sich tatsächlich etwas ändern: „Die Sanierung im Bestand muss nicht nur aufgrund der derzeitigen schwierigen Rahmenbedingungen für Neubauprojekte künftig stärker in den Fokus rücken, sondern auch aus Gründen der Nachhaltigkeit“, heißt es auf Anfrage dieser Redaktion. Und: Eine „zentrale Maßnahme“ des neuen Handlungskonzepts Wohnen werde ein Innenstadtentwicklungsprogramm sein. Dachgeschossausbau, Aufstockung, Ausfüllen von Baulücken – auf dieses Weise soll neuer Wohnraum geschaffen werden.

Das überarbeitete Handlungskonzept, das eigentlich bereits im Herbst 2023 vorliegen sollte, könnte dem Vernehmen nach im zweiten Quartal 2024 verabschiedet werden. Fünf Büros unterstützen die Stadt dabei. Kostenpunkt: 189.000 Euro. Insgesamt kostet die Evaluierung 219.000 Euro. Das Handlungskonzept selbst hatte 2017 noch 60.000 Euro gekostet.