Bochum. Sexszenen sind für Schauspieler eine Herausforderung. Als Intimitätskoordinatorin hilft Magdz Barrawasser aus Bochum ihnen bei dem heiklen Job.

Wenn sich Romeo und Julia auf der Bühne heftig ineinander verlieben, dann gehört ein inniger Kuss meist mit dazu. Auch andere Liebespaare wirken oft nur dann glaubhaft, wenn es zwischen ihnen wie wild knistert: Sexszenen und Nacktauftritte inklusive. Doch wer fragt eigentlich die Schauspieler, ob ihnen das überhaupt recht ist? Ob sie ihre Körper aus lauter Hingabe für die Kunst dermaßen entblößt öffentlich zur Schau stellen wollen? Um Fragen wie diese sensibel zu klären, ist an den Theatern und bei Filmproduktionen ein noch junges Berufsfeld entstanden: die Intimitätskoordination. Die in Bochum lebende Regisseurin Magz Barrawasser ist eine von ihnen.

Regisseurin aus Bochum arbeitet als Intimitätskoordinatorin

Seit rund zehn Jahren arbeitet Barrawasser als freiberufliche Regisseurin an Theatern quer durch die Republik. Während dieser Zeit hat sie einiges erlebt, denn die Machtstrukturen sind auf den Probebühnen und an Filmsets oft dieselben. Die Regie oder die Theaterleitung bestimmt die Richtung, während die Schauspieler ihren Dienst auf der Bühne verrichten.

An einen Vorfall erinnert sie sich besonders: „Ich war noch Assistentin, als von einem Kollegen bei der Kostümanprobe verlangt wurde, dass er seine Figur mit freiem Oberkörper zu spielen habe“, erzählt sie. Als der Schauspieler sich geweigert habe, dies zu tun, sei er auf großes Unverständnis gestoßen: „Frei nach dem Motto: Stell dich nicht so an!“

Sexszenen auf einer Theaterbühne müssen gut vorbereitet sein, damit alle Beteiligten sich wohlfühlen: Hier eine Szene aus „Reigen“ mit Maike Elena Schmidt und Helge Salnikau im Prinz-Regent-Theater (letzte Vorstellung am Mittwoch, 17. Januar).
Sexszenen auf einer Theaterbühne müssen gut vorbereitet sein, damit alle Beteiligten sich wohlfühlen: Hier eine Szene aus „Reigen“ mit Maike Elena Schmidt und Helge Salnikau im Prinz-Regent-Theater (letzte Vorstellung am Mittwoch, 17. Januar). © PRT | Christine Rockenfeller

Nein, das sei nicht okay, meint Magz Barrawasser: „Niemand darf von außen bestimmen, wo bei einem anderen Menschen die Grenze ist.“ Doch weil gerade diese Grenzen an Theatern und bei Filmen im Sinne der „Kunstfreiheit“ immer wieder eingerissen würden, sei es wichtig, ehrlich darüber zu reden und etwas zu unternehmen.

Zuerst wird geklärt: Wo sind die Grenzen?

Barrawasser beschäftigte sich intensiver mit dem Thema, forschte dazu etwa an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und nahm an amerikanischen und britischen Online-Kursen teil: „Dort sind sie bei dem Thema viel weiter als hier.“ Seit rund einem Jahr wird sie als Intimitätskoordinatorin bei Filmproduktionen und vor allem an Bühnen gebucht, wenn dort erotische Szenen geprobt werden – ein noch ganz junger und in der Theaterwelt bislang eher seltener Job: „Aber die Nachfrage wächst.“

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Ihre letzten Aufträge führten sie etwa nach Bremen, Hannover und an die Folkwang-Uni. Der erste Schritt sei, mit allen Seiten die Szenen getrennt voneinander zu besprechen: mit der Regie ebenso wie mit den Darstellern. „Gerade bei Nacktauftritten muss geklärt werden: Wo sind die Grenzen? Was soll fürs Publikum zu sehen sein?“ Aus all diesen Eindrücken versuche sie dann, Szenen zu bauen, die den Schauspielern gerecht werden und die künstlerischen Visionen ebenso mit einbeziehen. Jeder Kuss, jeder Griff an die Brust, jedes Streicheln werde dabei genau festgelegt.

Training wie bei einer Kampfchoreographie

„Wir trainieren diese Szenen richtig“, sagt sie. „Oft ist das wie bei einer Kampfchoreografie, wo ja oft auch Stunt-Koordinatoren hinzugezogen werden.“ Einstudiert werde dies oft auch mithilfe kleiner Tricks: Schambekleidung, die fürs Publikum kaum zu sehen ist, habe bei intimen Szenen schon eine Menge guter Arbeit geleistet.

„Orlando“ feiert Premiere im Prinz-Regent-Theater

Als Regisseurin arbeitet Magz Barrawasser gerade am Prinz-Regent-Theater (Prinz-Regent-Straße 50-60), wo ihre Inszenierung von „Orlando“ nach dem Roman von Virginia Woolf am Sonntag, 14. Januar, um 18 Uhr Premiere feiern wird. Mit drei Schauspielern (Jaëla Probst, Helge Salnikau und Alessandra Wiesemann) will sie den 350 Jahre umspannenden Roman witzig und mit viel Musik auf eine komplett weiße Bühne bringen. „Das wird lustig und kurzweilig“, verrät sie.

Ihre Dienste als Intimitätskoordinatorin sind bei der Produktion übrigens nicht gefragt: Nacktszenen gibt es keine. Wieder am 19. und 30. Januar. Karten: 0234 77 11 17.

Wichtig sei, die Schauspieler gut im Blick zu behalten: „Auch wenn sie natürlich ihre Rollen spielen, stellen sie ihre Körper dafür zur Verfügung“, sagt sie. „Das kostet nicht selten Überwindung.“ Gerade für junge Schauspieler am Beginn ihrer Karriere sei es oft schwer, zur rechten Zeit „Nein“ zu sagen. „Sie fürchten dann, als schwierig abgestempelt und nicht mehr besetzt zu werden.“ Denn körperliche Nähe zu Kollegen zuzulassen, die man teils kaum kennt, sei eine der großen Herausforderungen im Job des Schauspielers.