Bochum-Gerthe. Die Einrichtung einer Unterkunft für Wohnungslose in Bochum bleibt umstritten, Bei der Infoveranstaltung meldet sich auch eine prominente Stimme.

Auch in der zweiten Informationsveranstaltung zur geplanten Wohnungslosenunterkunft im ehemaligen Seniorenheim „Haus Gloria“ an der Lothringer Straße 21a ist es der Stadtverwaltung Bochum nicht gelungen, die Bedenken von Anwohnern gegen die Einrichtung auszuräumen. Die Verwaltung hatte am Montag, dem „Tag der Wohnungslosen“, die unmittelbaren Nachbarn eingeladen.

Heftige Kritik in Richtung Stadt Bochum: Zu wenige Transparenz

Voraussichtlich im Februar sollen bis zu 42 Wohnungslose untergebracht werden – vor allem in drei Gruppen zu je zwölf Personen, wohnen sollen sie in Ein- und Zwei-Bett-Zimmern. Voraussetzung dafür ist die Zustimmung der Bezirksvertretung Nord am Dienstag, 12. September, und des Haupt- und Finanzausschusses am 20. September zum Abschluss des Mietvertrags. Beraten und entschieden wird das dann jeweils in nicht-öffentlicher Sitzung.

Diese „versteckte“ Debatte und vor allem die späte Information der Bürger über die Pläne, eine Wohnungsloseneinrichtung im direkten Umfeld zweier Kitas einzurichten, stoßen den Gerthern offenbar besonders auf. „Als direkter Anwohner wird man vor vollendete Tatsachen gestellt“, so ein Teilnehmer der Informationsveranstaltung am Montagnachmittag im Amtshaus Gerthe. Schlechter hätte dies nicht gemacht werden können, so sein Vorwurf. Die mangelnde Transparenz stoße vielen sauer auf.

Früherer Regierungspräsident appelliert an Sozialdezernentin

Damit steht er nicht alleine da. „Sie müssen die Menschen doch mitnehmen“ appelliert Helmut Diegel, seit Jahren, wie er sagt, Gerther Bürger und einst u.a. als Regierungspräsident in Arnsberg sowohl mit heiklen politischen Fragen wie auch mit verwaltungstechnischen Anforderungen vertraut. Sein Vorschlag in Richtung Sozialdezernentin Britta Anger: „Überdenken Sie ihre Verwaltungsvorlage noch einmal.“

Ihn wundert es, dass nicht mehr als die knapp 20 Frauen und Männer zu der Infoveranstaltung gekommen sind. Und er bezweifelt, dass tatsächlich alle, die im näheren Umkreis von „Haus Gloria“ wohnen, wie versprochen eingeladen wurden. Mehrere Teilnehmer berichten, sie oder Verwandte und Nachbarn, die im unmittelbaren Umfeld leben, hätten keine Einladung erhalten.

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Erstaunen über geringe Beteiligung und Zahl der Einladungen

100 Haushalte seien angeschrieben worden, so die Sozialdezernentin. Wenn nicht alle eine Einladung erhalten haben, bedauere sie dies. Anger: „Ich entschuldige mich dafür.“ Zu klären war am Montagnachmittag nicht, ob möglicherweise ein Teil der Post gar nicht das Rathaus verlassen hat, falsch adressiert war oder welcher andere Grund noch in Frage kommen könnte.

Das hintere Gebäude des früheren Seniorenheims „Haus Gloria“ möchte die Stadt mieten und dort ein Obdachlosenheim einrichten. Das vordere Gebäude (r.) werde nicht angemietet, so Sozialdezernentin Britta Anger.
Das hintere Gebäude des früheren Seniorenheims „Haus Gloria“ möchte die Stadt mieten und dort ein Obdachlosenheim einrichten. Das vordere Gebäude (r.) werde nicht angemietet, so Sozialdezernentin Britta Anger. © Sabine Vogt

Grundsätzlich, das betonten viele Teilnehmer, würden sie die Hilfe für die Schwachen der Gesellschaft unterstützen – auch in Gerthe und womöglich auch mit einer Wohnungsloseneinrichtung, auch wenn diese nach Einschätzung einiger Kritiker nicht an der richtigen Stelle eingerichtet werde. Auch die Größe des Obdachlosenheims könne zur Verunsicherung beitragen, heißt es. Eine kleinere Einrichtung, die bestimmt mehr Akzeptanz haben würde, sei möglicherweise ein guter Kompromiss. Anwohnerin Christa Schimanski sagt: „Ich habe nichts gegen die Einrichtung. Aber ich habe Angst.“ Auch darauf müsse die Verwaltung Rücksicht nehmen.

Vorschlag: Kleinere Gruppen bedeuten mehr Akzeptanz

Tatsächlich hat es im Vorfeld schon Vorschläge in dieser Richtung gegeben. So rät Anton Storms, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, in einem Schreiben an die Sozialdezernentin: „Mit Wohngruppen von neun und mehr, die sich Küche und andere Gemeinschaftseinrichtungen teilen sollen, werden Spannungen und gegenseitige Belastungen aufgebaut. Geben sie dem Projekt, insbesondere den Obdachlosen, eine reelle Chance.“ Er plädiert für 21 Bewohner mit drei Gruppen a sieben Personen, eine Einzelzimmer-Belegung und ausreichend sozialtherapeutischen Angebote. „Ein solches Projekt würde sicherlich in Gerthe akzeptiert, ehrenamtlich unterstützt und könnte auch allen anderen Bochumer Stadtteilen zugemutet werden“, so Storms.

Sozialdezernentin Anger hat derweil versucht, den Menschen die Bedenken und Ängste zu nehmen. Für das Haus an der Lothringer Straße würden ausschließlich Personen in Frage kommen, die eine echte Perspektive haben, auf absehbare Zeit wieder eine eigene Wohnung zu beziehen. „Es kommen nur Menschen rein, die wir kennen“, d.h. die ein sogenanntes Clearingverfahren durchlaufen haben, in dem ihre Situation und ihre Perspektive genau geklärt werden. „Haus Gloria“ sei dafür gut geeignet.

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Mietvertrag soll zunächst über fünf Jahre laufen

Von guten Erfahrungen mit Wohnungsloseneinrichtungen – auch im direkten Umfeld von Kitas - berichten Christine Pell als Leiterin mehrere Awo-Einrichtungen. Die Arbeiterwohlfahrt ist auch, sollte das „Haus Gloria“ als Wohnungslosenheim genutzt werden, als Trägerin der Einrichtung bestimmt. „Diese Menschen verfügen über unheimlich viele Fähigkeiten und Ressourcen“, so Pell. Es gehe darum, sie dabei zu begleiten, diese Ressourcen auch zu nutzen. „Sie brauchen eine zweite Chance, um sich integrieren zu können.“ Auch sie indes mochte die Bedenken ebenso wenig auszuräumen wie Lisa Stephanblome, die u.a. das Wohnprojekt „Villa“ der Diakonie in Riemke betreut.

Vor allem 25- bis 50-Jährige sind betroffen

920 wohnungslose Frauen und Männer wurden nach Angaben des Statistischen Landesamts Ende Januar 2023 in Bochum untergebracht. Zu den erfassten Wohnungslosen zählen auch Geflüchtete mit positivem Abschluss eines Asylverfahrens oder einer Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz ohne eigene Wohnung.

225 der betroffenen Personen sind deutsche Staatsangehörige. Betroffen von Wohnungslosigkeit ist vor allem die Altersgruppe 25 bis 50 Jahre, allein 370 Personen gehören dazu. Dahinter folgen die 50- bis 65-Jährigen (145) und die Sieben- bis 14-Jährigen (110). Betroffen sind mehr Männer (540) als Frauen (380).

Die Stadt selbst zählt 341 wohnungslose Personen. Gegenüber 2019 (63) ist dies eine Verfünffachung, so Sozialdezernentin Britta Anger.

Maximal ein Jahr, so sieht es das Betreuungskonzept der Stadt vor, sollen Wohnungslose an der Lothringer Straße auf den nächsten Schritt vorbereitet werden. Der Mietvertrag werde, sollte die Politik dafür stimmen, über fünf Jahre abgeschlossen – mit der Option nach drei Jahren eine Überprüfung vorzunehmen. Planungen, auch das andere Gebäude des ehemaligen Seniorenheims, das direkt an der Lothringer Straße steht, später anzumieten, „gibt es nicht“, so Anger. Zuvor hatte eine Teilnehmerin die Befürchtung geäußert, genau das könne geschehen, wenn der Eigentümer wegen der Nachbarschaft das Gebäude nicht anderweitig vermieten könne.

Diplom-Psychologin aus Gerthe regt Kompromiss an

Derweil gibt es aber auch andere Stimmen. Die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen im Rat haben sich bereits eindeutig für die Einrichtung an der Lothringer Straße ausgesprochen – ebenso Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD).

Und: In einem Schreiben, das sie auch dieser Redaktion zur Verfügung gestellt hat, wendet sich die Gertherin Bettina Meschenmoser an die Sozialdezernentin. Die Diplom-Psychologin war nach eigenen Angaben lange in der ambulanten Versorgung psychisch kranker Menschen in Bochum beschäftigt. Sie möchte „beitragen zu größerer Akzeptanz und zum Gelingen des Projektes“:

Auch sie empfiehlt: „Ich rege dringend an, dass in der Gerther Einrichtung Einzelzimmer zur Verfügung gestellt werden. Gerade für psychisch Erkrankte, die vielfältig von inneren Prozessen gequält werden, ist es wichtig, eine Intimsphäre zu haben.“ Zur Integration in den Stadtteil sei es wichtig, „dass sie rausgehen, weil sie es möchten und nicht, weil sie es mit dem Mitbewohner nicht aushalten“.