Bochum. Sajan aus Bochum hat einen Gen-Defekt, der weltweit nur 340-mal bekannt ist. Anzusehen ist ihm die Krankheit nicht. Die Eltern wollen aufklären.
Sajan aus Bochum-Weitmar ist ein offenes und fröhliches Kerlchen. Der Sechsjährige spielt liebend gern mit Bällen, mag Schnitzel, Pommes und Pizza und tobt so oft es geht mit den Nachbarskindern draußen herum. Klingt nach einer normalen Kindheit. Doch der Schein trügt. Sajan hat eine sehr, sehr seltene Krankheit, die seine Entwicklung stark verzögert. Einer Krankheit, die kaum jemand kennt. Für die Eltern keine einfache Situation – und für betroffene Kinder wie Sajan lebensbedrohlich. Deshalb wollen sie jetzt informieren: im Kino.
„Zebrakind“ Sajan (6) aus Bochum: Seine Krankheit kennt fast niemand
KAT6A heißt die Gen-Mutation, die Sajan hat. „Ihm fehlt ein Eiweiß-Baustein, damit sich seine Organe richtig entwickeln“, erklärt Papa Jannis Mehring (38). Weltweit sind nur 340 Fälle bekannt, meist Kinder betroffen. Diese werden liebevoll „Zebrakinder“ genannt, weil die Mutation bei jedem anders ist – so einzigartig wie die Streifen eines Zebras. Obwohl sie auf den ersten Blick alle gleich aussehen.
Auch Sajan wirkt zunächst wie ein ganz normales Kind. Äußerlich ist ihm eine Krankheit nicht anzusehen. Schon früh nach der Geburt merken die Mehrings, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt. Doch er ist ihr erstes Kind, sie haben keine Vergleichsmöglichkeiten – und lassen sich zunächst von den Worten des Kinderarztes vertrösten, „der meinte, Sajan sei kerngesund, es sei nur eine Entwicklungsverzögerung“, so die Mama. Dann startet ein einjähriger Untersuchungsmarathon, an dessen Ende die Gewissheit steht: Es ist KAT6A.
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Drei Jahre sind seit der Diagnose vergangen. „Er fängt erst jetzt langsam an zu sprechen“, sagt Mama Sangam (38). Sajan benötigt rund um die Uhr Hilfe. „Seit seiner Geburt habe ich nicht eine Nacht durchgeschlafen.“ Auch das Trinken und Essen „funktioniert überhaupt nicht“. Ja, Sajan isst gerne Schnitzel, Pommes und Pizza, dazu Wassermelone und Weintrauben – „aber auch wirklich nichts anderes“.
Noch spezieller das Trinkverhalten. „Er nahm anfangs die Milch nicht an und trank auch später nichts, weshalb er sogar ins Krankenhaus musste“, berichtet der Papa. Durch Zufall hätten sie Sajan Elektrolyte mit Erdbeergeschmack gegeben: Volltreffer. „Das hat er so weggezogen. Seither trinkt er nur das – wenn Farbe und Geschmack passen.“
Film über seltene Krankheit: Bochumer Familie lädt ins Kino ein
Familie Mehring hat viel gelernt in den vergangenen Jahren, ihr Alltag bleibt kompliziert. „Viele kennen die Krankheit halt nicht“, sagt Jannis Mehring, der sich als Betriebsleiter um das Catering beim VfL Bochum im Ruhrstadion kümmert und auch noch als Lokalpolitiker für die Grünen in der Bezirksvertretung Südwest aktiv ist. „Selbst Ärzten müssen wir als Eltern erzählen, was unserem Kind fehlt.“
Das muss sich ändern, finden die Mehrings. Deshalb unterstützen sie eine Stiftung aus Österreich, die einen Film über das Leben mit KAT6A gedreht hat. „Anfangs sollte auch Sajan in dem Film vorkommen“, sagt Sangam Mehring. „Doch wir wollten nicht, dass unser Kind für immer mit dieser Krankheit in Verbindung gebracht wird. Wir dachten da noch, er werde irgendwann normal – nur halt mit Verzögerung.“
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Inzwischen aber wissen die Eltern, dass Sajan sein ganzes Leben lang auf Hilfe angewiesen bleiben wird. „Über die Stiftung haben wir viele betroffene Menschen und ihre Familien kennengelernt“, erzählt Jannis Mehring. Viele kämen auch in besagtem Film „Gen-Defekt“ vor. „Wie die junge Erwachsene, die Konditormeisterin geworden ist.“ Das mache Mut und gebe Zuversicht.
Wichtig sei, dass mehr über die Krankheit bekannt werde. „Denn Zebrakinder können nicht genau sagen, was ihnen fehlt. Sie halten Schmerzen ziemlich lange aus, bis sie sich melden“, wissen die Mehrings inzwischen. Das könne mitunter dramatische Folgen haben. „Wir haben von einem Mädchen gehört, das im Wartebereich einer Klinik an einem Darmverschluss in den Armen seiner Mutter gestorben ist“, berichtet Sangam Mehring. Die Dringlichkeit sei nicht erkannt worden, auch weil sich das Kind nicht richtig habe artikulieren können.
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Von daher hat sich die Sicht der Mehrings verändert. In den Film schafft es Sajans Schicksal zwar nicht mehr, unterstützen will man aber ihn dennoch. Auf Initiative von Jannis Mehring wird der Film nun auch in Bochum gezeigt: Am Sonntag, 17. September, um 11 Uhr im Union-Kino, Kortumstraße 16. Der Eintritt ist frei.
„Wir machen das für unser Kind und wollen aufklären“, sagen die Mehrings. Alle Nachbarn und Freunde habe man eingeladen. „Je mehr kommen, desto besser.“ Im Anschluss an den Film werde es zum Austausch mit betroffenen Familien kommen. So wolle man mehr Akzeptanz für KAT6A schaffen. „Mittelfristig soll dann auch die Forschung unterstützt werden.“ Damit Kinder wie Sajan die bestmögliche Therapie bekommen können.
Tolles Gespann mit kleinem Bruder
Wie andere Sechsjährige auch geht Sajan Mehring jetzt in die Schule – in die Janusz-Korczak-Schule, eine städtische Fördereinrichtung mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung. Sicherlich wird Sajan öfter mal fehlen, und dann auch länger als gewöhnlich. „Er hat ein geschwächtes Immunsystem und nimmt jede Erkältung mit, dann aber so richtig“, erklärt Papa Jannis Mehring. Mehrere Operationen hat der Junge schon hinter sich, unter anderem am Herz.
Weil KAT6A im Gegensatz zur B-Variante als nicht vererbbar gilt, haben sich die Mehrings für noch ein zweites Kind entschieden. Miljan ist zweieinhalb Jahre alt und kommt mit seinem großen Bruder super klar, sagt Mama Sangam. „Der Kleine hat ein gutes Gespür für Sajan und hilft schon toll mit. Die beiden kuscheln auch viel.“ Alltagsmomente, über die sich die Eltern sehr freuen.