Bochum. Der Job gilt als unattraktiv, Tausende Stellen sind unbesetzt: RUB-Studierende erzählen, warum sie trotz Bildungskrise Lehrer werden wollen.
Wer bei Google „Lehrerberuf“ ins Suchfenster eintippt, bekommt folgende Ergänzungsvorschläge: „… unattraktiv“, „… aufgeben“, „… anstrengend“. Die Bildungskrise bestimmt die Schlagzeilen, schon jetzt ist der Lehrermangel eklatant. Wer will heute noch Lehrer oder Lehrerin werden? Wir haben sechs Lehramts-Studierende der Ruhr-Universität Bochum getroffen und sie gefragt, was sie an- und umtreibt.
Sie blicke „mit gemischten Gefühlen“ in die Zukunft, sagt Louisa Steinbock. Die 23-Jährige ist im dritten Semester ihres Masterstudiums fürs Gymnasial-Lehramt, Deutsch und Sozialwissenschaft sind ihre Fächer. Ja, da sei die Bildungskrise auf der einen Seite. Aber: „Ich hab schon die Vision, dass wir die Generation sein können, die das System ändert. Wir sind diejenigen, die die Boomer ablösen.“
Bildungskrise: „Wenn wir nicht versuchen, anders zu denken, wer dann?“
Viele Projekte für Lehramtsstudierende an der RUB seien von Studis initiiert, erzählen die sechs, die sich alle in der Fachschaft Lehramt engagieren: Weiterbildungen zu Diversität und Chancengleichheit, zu Methoden und (psychischer) Gesundheit. „Wir versuchen, die Lücke in der universitären Lehre zu schließen“, sagt Nele Käfke (22), die Erziehungswissenschaft und Germanistik studiert und jüngst ihre Bachelorarbeit abgegeben hat.
„Wenn wir nicht versuchen, anders zu denken, wer dann?“ fragt Kommilitone Ali Eskici. „Von uns hängt sehr viel ab.“ Eskici ist 28 Jahre alt, selbst über Realschule und Berufskolleg zum Abitur gelangt, nach kleineren Umwegen in anderen Fächern bei Anglistik und Erziehungswissenschaft gelandet. Aktuell schreibt er an seiner Bachelorarbeit, will später Englisch und Pädagogik am Gymnasium unterrichten.
Angehende Lehrer vermissen Praxisbezug im Studium
An der Realschule habe sich seine Deutschlehrerin „immer wieder Zeit genommen, sie hat sich mit mir hingesetzt, gesprochen“, gerade dann, wenn’s schwierig wurde. Auch am Berufskolleg habe ihn ein Lehrer „da durchbegleitet“. Ihm sei klar geworden, sagt Ali: „Genau so jemand möchte ich sein.“
Da ist auch Emina Sophie Akkaya, 21 Jahre alt und im vierten Bachelor-Semester Anglistik und Biologie. Seit ihrer Schulzeit habe sie in der Schülerbetreuung gearbeitet, gebe Nachhilfe. „Die Arbeit mit Kindern“, findet sie, „gibt einem so viel zurück!“ Louisa Steinbock nickt. „Man ist sozusagen analoger Influencer.“
Wer mit den angehenden Pädagogen spricht, spürt Begeisterung, eine gute Portion Idealismus – aber auch Reflexion darüber, woran das System krankt. „Man müsste die komplette Ausbildung ändern“, findet Steinbock, alle sechs vermissen Praxisbezug. Ein fünfwöchiges Schulpraktikum ist im Bachelorstudium Pflicht, im Master folgt das Praxissemester, das je nach Jahreszeit und Ferienterminen vier bis fünf Monate dauert, unbezahlt. „Bis dahin“, sagt Pernilla Cordes (23), die ihr Praxissemester gerade beendet hat, „bist du aber schon vier bis fünf Jahre im Studium.“
„Mit dir macht lernen Spaß“ – das ist der Ansporn
„Weil es so wenig Praxis gibt, verlieren viele im Laufe ihres Studiums die Motivation“, glaubt Ali Eskici. Auch ihm sei das zwischenzeitlich so gegangen. „Man weiß dann nicht mehr: Wofür mach ich das?“ Björn Neise, 23 Jahre alt, viertes Semester Chemie und Geschichte, kennt die Frage ebenfalls. „In den drei Jahren Bachelorstudium lernen wir fast nichts, was wir wirklich für unseren Beruf brauchen“, sagt er. Er schlägt sich gerade mit einem Lateinkurs herum, „weil ein Kultusminister mal entschieden hat, dass Geschichtslehrer ein Latinum haben müssen“. Dabei komme es doch auf ganz andere Dinge an. Lehrer hätten „Potenzial, gute Vorbilder zu sein“, sagt er. „Gerade wenn man als Schüler vielleicht nicht aus einer Akademikerfamilie kommt, nicht so einen Rückhalt zu Hause hat...“
Womit wir bei den Wünschen der künftigen Lehrer wären: „Ich wünsche mir, dass wir wegkommen vom ‘teaching to the test’“, sagt Pernilla Cordes, und meint: Weg von der Abfrage von Auswendiggelerntem, „auch den Prozess zu bewerten, nicht nur das Produkt“. Auch Björn Neise hofft, dass sich am Bewertungssystem in den Schulen etwas ändert, „dass auch die emotionale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler mit einbezogen wird“. Er habe, sagt Ali Eskici, „Hoffnung für die Zukunft, sehr viel Hoffnung.“ Da passiere ein Umschwung, neue Konzepte und reformpädagogische Ansätze fänden immer mehr Gehör.
Und welche Rolle spielt die Sicherheit, die der Lehrerberuf für viele mitbringt – Stichwort: Beamtenstatus? „Gar keine“, sagt Eskici, ihm gehe es um Werte, „Sicherheit ist Bonus“. Die anderen nicken. Und dann erzählt Emina Sophie Akkaya von einem Nachhilfekind, das ihr kürzlich sagte, es freue sich schon jetzt aufs Wiedersehen nach den Ferien. Mit ihr mache Lernen Spaß, habe es gesagt. „Darum geht’s.“
Lehrermangel: Tausende Stellen in NRW unbesetzt
NRW muss einer Prognose aus diesem Frühjahr zufolge bis zum Schuljahr 2031/32 rund 79.000 Lehrerinnen und Lehrer neu einstellen, um den Bedarf über alle Schulformen hinweg decken zu können. Zur Verfügung stehen in dem Zeitraum laut Schulministerium aber voraussichtlich nur rund 74.500 grundständig ausgebildete Lehrkräfte.
Der Lehrkräftemangel sei „bundesweit die mit Abstand größte Herausforderung für unsere Schulen“, sagt Schulministerin Dorothee Feller (CDU). Die schwarz-grüne Landesregierung hatte angekündigt, bis 2027 zusätzlich 10.000 Lehrkräfte an die Schulen zu bringen. Im Juni waren nach Daten des Ministeriums rund 6700 von insgesamt etwa 165.000 Lehrerstellen in NRW nicht besetzt. Im Dezember 2022 waren es noch rund 8000 unbesetzte Stellen gewesen.
373 Lehramts-Absolventinnen und -Absolventen haben im Prüfungsjahr 2021 ihr Studium an der Ruhr-Universität abgeschlossen – zehn Prozent weniger als noch zehn Jahre zuvor. Und auch landesweit ist die Zahl der Lehramts-Absolventen seit 2011 zurückgegangen – vor allem beim Abschluss für Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen.