Bochum. Nach dem Becherwurf auf einen Linienrichter bei einem VfL-Bochum-Spiel steht jetzt ein Bochumer vor Gericht. Er schweigt, wird aber belastet.
Die 68. Spielminute war für den ganzen VfL Bochum ein rabenschwarzer Moment. Am Abend des 18. März 2022 lag das Team von Thomas Reis in der Bundesliga-Partie gegen Mönchengladbach schon mit 0:2 zurück. Danach wurde es aber erst so richtig schlimm: Ein gefüllter Bierbecher aus Block A flog auf den Schiedsrichterassistenten Christian Gittelmann (40) zu und traf ihn am Hinterkopf. Die Folge: Spielabbruch. Der mutmaßlicher Werfer (39) aus Bochum, ein VfL-Fan, steht seit Montag wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht – und sagt kein einziges Wort.
„Er wird vom Recht Gebrauch machen, sich schweigend zu verteidigen“, sagt Verteidiger Stefan Witte.
Der letzte Spielabbruch in der Bundesliga war lange her: 2011 beim Spiel St. Pauli gegen Schalke. Aus genau dem gleichen Grund. Nun blickte ganz Fußball-Deutschland deshalb auf Bochum.
Immer wieder flogen Bierbecher auf das Spielfeld
Die Stimmung in Teilen des VfL-Fanlagers war schon vor der 68. Minute wegen des Rückstandes gereizt, immer wieder flogen Bierbecher auf den Rasen, weshalb der Stadionsprecher mehrfach dazu aufrief, dies sein zu lassen. Gittelmann selbst stand zwar überhaupt nicht in der Kritik. Doch dann sank er plötzlich an der Außenlinie auf die Knie und fasste sich an den Hinterkopf. „Es war ein heftiger Einschlag. Es hat mich voll erwischt, ein harter Schlag, ein Schock“, sagte er zum Prozessauftakt. „Ich spürte einen pulsartigen Schmerz.“ Wegen einer Schädelprellung und eines Schleudertraumas wurde er ambulant im Krankenhaus behandelt. „Heftige Kopfschmerzen“ habe er gehabt.
Prozess wird am 5. Juni fortgesetzt
Der Prozess wird am 5. Juni fortgesetzt. Ein weiterer Sitzungstag ist am 14. Juni geplant.
Ob dann auch ein Urteil verkündet wird, ist noch nicht sicher.
Das Gericht vernahm am Montag mehrere Zeugen, die damals im Block A standen. Sie sahen zwar den Becherwurf, nicht aber, wer geworfen hat.
Das Spiel wurde nach langer Beratung mit Schiedsrichter Benjamin Cortus in der Kabine nicht mehr angepfiffen und später mit 0:2 für die Gäste gewertet. Außerdem brummte das DFB-Sportgericht dem VfL eine Strafe von 100.000 Euro auf. Sollte der Angeklagte jetzt von Einzelrichterin Sabine Schüler verurteilt werde, könnte der Verein von ihm Schadenersatz fordern.
Schiedsrichterassistent Christian Gittelmann will mögliches Schmerzensgeld spenden
Gittelmann selbst fordert von ihm mindestens 2000 Euro Schmerzensgeld, betont aber gegenüber der WAZ: „Ich selbst will keinerlei Kapital aus dieser Sache schlagen. Wenn mir Schmerzensgeld zustehen sollte, würde ich das dem Schiri-Fonds der DFB-Stiftung spenden.“ Wichtiger ist ihm noch, dass diejenigen, die gegen seine Kolleginnen und Kollegen auch in den unteren Ligen gewalttätig werden und Gegenstände auf sie werfen, verurteilt würden. Sie sollen aus der Anonymität herausgenommen werden und „sich nicht sicher fühlen können“, weil sie strafrechtlich verfolgt und bestraft werden können.
Der Angeklagte wurde schon wenige Stunden nach dem Becherwurf ermittelt. Direkt nach dem Spielabbruch setzte sich eine „Krisenkoordinationsgruppe“ des VfL zusammen und sichtete im Übertragungswagen intensiv das Videomaterial. Ergebnis: Der Becher muss aus der ersten Reihe von Block A geworfen worden sein, der direkt an die Fankurve, die Ostkurve, angrenzt.
VfL-Sicherheitsbeauftragter belastet den Angeklagten im Prozess
Den mutmaßlichen Hauptverdächtigen, den jetzt Angeklagten, kannte der Sicherheitsbeauftragte (39) des VfL zufällig, wie er der Richterin sagte. Er rief ihn damals sofort an und fragte, ob er etwas zu der Sache sagen könne, was dieser verneinte. Wenige Minuten später rief er dann aber bei dem VfL-Mitarbeiter zurück: Ob man sich gleich verabreden könne...
Dies geschah in der Wohnung des Verdächtigen, der alkoholisiert war, zusammen mit Familienmitgliedern.
Prozess wird am 5. Juni fortgesetzt
Der Prozess wird am 5. Juni fortgesetzt. Ein weiterer Sitzungstag ist am 14. Juni geplant.
Ob dann auch ein Urteil verkündet wird, ist noch nicht sicher.
Das Gericht vernahm am Montag mehrere Zeugen, die damals im Block A standen. Sie sahen zwar den Becherwurf, nicht aber, wer geworfen hat.
Laut dem VfL-Mitarbeiter sagte er damals den verdächtigen Satz, dass es ja gar nicht sicher sei, „dass sein Becher getroffen hat“. Auf den Videos von der Tat ist aber kein zweiter Becherwurf an der Stelle um Gittelmann herum zu sehen. Der VfL-Sicherheitsbeauftragte zur Richterin: „Dass alles lässt mich zu dem Schluss kommen, dass er es eigentlich gewesen sein müsste.“
VfL-Aktion in den sozialen Medien: „Fiege trinken, nicht werfen“
Belastend kommt hinzu, dass sich an dem von der Polizei sichergestellten Becher DNA des Angeklagten befindet. Die Richterin lässt jetzt auch ein molekulargenetisches Gutachten erstellen, dass auch die DNA von Gittelmann nachweisen könnte.
Paradoxerweise gab es damals im Vorfeld des Spieles eine Video-Aktion des VfL mit Kapitän Anthony Losilla in den Sozialen Medien, weil sich Becherwürfe gehäuft hatten. Motto: „Fiege trinken, nicht werfen!“