Essen. Weil die Nachfolge nicht geregelt ist, wird eine Schließungswelle im Mittelstand erwartet. Das Start-up Tradineo will kleinere Firmen übernehmen.

Tobias Zimmer ist gerade einmal 36 Jahre alt und hat schon einige Unternehmen gegründet – das erste mit 16. Seine bekannteste Firma ist wohl Coffee Bike. Das Franchise-Konzept Kaffee mit den mobilen Kaffee-Fahrrädern hat Zimmer bereits in 17 Länder exportiert. Nun hat der Westfale ein neues Geschäftsfeld entdeckt. Der Start-up-Unternehmer will mit seiner Firma Tradineo Mittelständler übernehmen, deren Inhaber in Rente geben und keine Nachfolgerinnen in der Familie finden.

190.000 Unternehmen vor Generationswechsel

Die Zahlen sind gewaltig: Zwischen den Jahren 2022 und 2026 stehen bundesweit rund 190.000 Unternehmerinnen und Unternehmer laut Schätzungen vor der Übergabe. Die europaweit tätige Kern-Gruppe, die sich auf Nachfolgelösungen spezialisiert ist, hat den Bedarf in den IHK-Bezirken ermittelt. Danach stehen an Rhein und Ruhr die meisten Übergaben im Kammerbezirk Duisburg/Niederrhein an: 4462 (siehe Info-Box).

Tobias Zimmer ist Gründer des Start-ups Tradineo.
Tobias Zimmer ist Gründer des Start-ups Tradineo. © Tradineo | Tradineo

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Diese Zahlen kennt freilich auch Tobias Zimmer. Er hatte aber auch selbst ein Erlebnis, das ihn dazu brachte, eine Firma für Unternehmensnachfolge zu gründen. Ein Lieferant bat ihn, seinen Betrieb zu übernehmen. „Am Ende hat er an einen Private-Equity-Anbieter verkauft. Zwei Jahre später gab es das Unternehmen nicht mehr in seiner ursprünglichen Form“, berichtet Zimmer.

So ergeht es vielen Familienunternehmen, die sich nicht frühzeitig um die Nachfolge des in Rente gehenden Inhabers kümmern und für den Fall vorbeugen, dass Tochter, Sohn oder andere Verwandte kein Interesse haben. „Ab einem Alter von 55 Jahren sollte man sich über die Nachfolge Gedanken machen“, rät Zimmer. „Das eigene Unternehmen ist das Lebenswerk und deshalb ein emotionales Thema. Vor dem Ausscheiden stellen sich die Inhaber natürlich die Fragen, was mache ich danach?‘ und ,werde ich noch gebraucht?‘“

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Zur Philosophie von Tradineo gehört es, nicht nur das Unternehmen zu kaufen, sondern es auch zu erhalten. „Wir bieten Kontinuität und die Zusage, in die Unternehmen zu investieren – mit meinem eigenen Kapital und dem Kapital anderer Mittelständler aus der Region. Dafür gibt es kein Laufzeitende“, versichert der Gründer. Zimmers Geld kommt aus den drei Firmen, die er selbst aufgebaut hat und betreibt: die Coffee-Bike GmbH mit aktuell 190 Franchise-Nehmern in 17 Ländern, die Marke My Choco, die hochwertige Schokoladenprodukte vertreibt, sowie Zimobilia, ein Unternehmen, das in Wohnimmobilien investiert und sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben hat.

Start-up Tradineo bietet sich als Nachfolger an

Das jüngste Start-up Tradineo mit seinen drei Mitarbeitenden hat noch keine Übernahme vollzogen. Das stört den Chef aber auch nicht. „Unsere Beratung ist komplett kostenlos. Wenn man ein neues Thema angeht, ist es doch normal, dass man nicht sofort Umsatz machen kann“, sagt Zimmer. Dabei habe er sich bereits „eine dreistellige Anzahl“ von Kandidaten angeschaut. „Der hohe Bedarf hat mich schon überrascht“, so der Unternehmer. Im Fokus habe Tradineo Betriebe ab einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern von 750.000 Euro und bis zur Grenze von fünf Millionen Euro.

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Das Start-up arbeitet dabei auch mit der Kern-Gruppe zusammen. An über 30 Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter Essen, berät sie Inhaberinnen und Inhaber, die den Generationswechsel einläuten wollen. „Wir verstehen uns als Makler und Gestalter der Unternehmensnachfolge und begleiten die Firmen von der Phase des Loslassens bis zum Übergang an die neuen Eigentümer“, sagt Kern-Partner Alexander Mehnert. Es gehe darum, „die richtigen Menschen“ zu finden. „Wir haben Zugang zu 300.000 geprüften Interessenten. Letztlich braucht es aber nur den einen, der den Betrieb übernimmt. Am Ende muss es passen.“

Kern-Partner Alexander Mehnert.
Kern-Partner Alexander Mehnert. © Kern-Gruppe | Matthias Sabelhaus

Sechs bis sieben Jahre vor dem geplanten Ausscheiden, rät der Experte, sollten sich Mittelständler Gedanken über die Nachfolge machen. „Am besten noch früher“, meint Mehnert. Oftmals passiere das aber nicht. „Mittelständler bauen sich eine Existenz auf mit Werten und einer tiefen Leidenschaft. Zu Beginn setzen sie sich gar nicht damit auseinander, dass sie irgendwann einmal loslassen müssen.“

Kern-Gruppe: 1,5 Millionen Arbeitsplätze von Nachfolge betroffen

Der Partner der Kern-Gruppe warnt deshalb: „Es kommt eine Schließungswelle kleiner und mittlerer Unternehmen auf uns zu, weil die Nachfolge nicht geregelt ist. 1,5 Millionen Arbeitsplätze hängen davon in den nächsten Jahren ab.“ Mehnert ist davon überzeugt, dass der Stellenwert für die Betriebsübergabe wachsen wird. „Nachfolge ist das neue Gründen“, sagt er. „Deshalb bin ich froh, dass als eine der ersten die Hochschule Koblenz für ihre Studierenden ein Qualifizierungsprogramm zur Unternehmensnachfolge anbietet.“ Einen Schwerpunkt zum Thema bietet auch die Universität Witten/Herdecke. Es bewegt sich also etwas. Den Experten für Familienfirmen betrübt dennoch ein wichtiger Punkt: „Es interessieren sich viel zu wenige Frauen dafür, ein Unternehmen zu übernehmen.“