Bochum. War die Suche nach der Trasse für den Radschnellweg RS1 in Bochum nur eine Show der Verwaltung? Eine Fraktion im Rat behauptet das. Die Fakten.

Starker Tobak: Die Fraktion „Die Partei & Stadtgestalter“ wirft der Stadtverwaltung Bochum vor, am Radfahren interessierte Bürger an der Nase herum geführt zu haben. Die aufwendige Suche nach einer rund drei Kilometer langen Trasse des Radschnellwegs Ruhr (RS1) durch die Bochumer Innenstadt mit Beteiligung der Bürger sei nur eine Show gewesen, lautet der Vorwurf nach Einsicht der Akten.

Radschnellweg Ruhr: Stadtverwaltung Bochum steht in der Kritik

Die favorisierte Strecke südlich der Bahnlinie habe von Anfang an festgestanden, sagt Volker Steude. „So geht das nicht, Dr. Bradtke“, wetterte der Fraktionssprecher schon am Donnerstag, 3. März, im Rat der Stadt in Richtung Stadtbaurat. An diesem Mittwoch, 9. März, entscheidet der Ausschuss für Mobilität und Infrastruktur.

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In der Tat ist die aktuell von der Verwaltung vorgeschlagene Trasse ein alter Hut. Schon in der Machbarkeitsstudie des Regionalverbandes Ruhr von 2014 ist diese Strecke mehr oder weniger vorgegeben. „Westlich der Bochumer Innenstadt prägen die Rheinische Bahn und der Westpark samt Jahrhunderthalle den RS1. Er verläuft dann durch die Wohnviertel zwischen S-Bahnhof Ehrenfeld und Hauptbahnhof. … Im weiteren Verlauf wird der RS1 an den Springorum-Radweg angeschlossen“, heißt es.

Deutsche Bahn lehnt 2018 einen Verkauf von Grundstücken ab

Schon 2018 gab es Gespräche mit der Deutschen Bahn (DB) zur Nutzung bzw. Übernahme der benötigten Grundstücke. Die Bahn lehnte ab. Gleichwohl hofft die Stadt bis heute auf ein Umdenken der DB, denn die Führung des RS1 über die Flächen der Bahn wird als optimierte Strecke weiter verfolgt.

Die Absage der Bahn 2018 indes war Anlass für die Suche nach einer neuen Trasse. Das Kölner Ingenieurbüro Bernard Gruppe erhielt 2019 den Auftrag, ergebnisoffen unter Beteiligung der Öffentlichkeit die optimale Strecke durch die Bochumer Innenstadt zu finden.

Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Sommer 2020 war groß. 4350 Zugriffe auf die Internetseite gab es, 826 Menschen äußerten sich. Das Ergebnis waren 336 Trassenvarianten, 781 Problemstellen sowie 373 Ideen für den RS1. Auch Interessensgruppen wie ADFC, Radwende, Bogestra, Handel und Naturschützer wurden eingebunden.

Gutachter untersuchen 42 Trassenvarianten

Ins „Finale“ kamen 42 Trassenvarianten. Sie wurden mit dem Rad befahren, analysiert und anhand eines umfangreichen Kriterienkatalogs bewertet. Faktoren wie Potenzial, Hemmnisse, Qualität, Attraktivität, Aufwand für den Umbau sowie Klima und Umwelt spielten eine Rolle.

Das Ergebnis der Gutachter im Dezember 2020 war eindeutig: Von Radfahrern in Bochum gewünscht ist eine Trasse mitten durch die Bochumer Innenstadt. Entweder über den Boulevard oder über den Innenstadtring. Die begehrteste Strecke sollte Radfahrer über Alleestraße, Rottstraße, Süd- und Ostring am Justizzentrum vorbei in den Osten führen. Die von der Stadt bislang favorisierte Trasse südlich der Bahngleise solle „nicht weiter verfolgt werden“, empfahlen die Ingenieure aus Köln.

„In einem Handstreich“, so Volker Steude, „korrigierten vier Mitarbeiter der Verwaltung ohne jede politische Beteiligung dieses Ergebnis und führten die gesamte Bewertung des Gutachterbüros ad absurdum.“

Stadtbaurat bewertet Ergebnisse der Gutachter als „unzureichend“

Diese „Korrektur“ erfolgte nach WAZ-Informationen Ende Januar 2021 noch vor einem Termin bei Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD), der sich einen Zwischenbericht gewünscht hatte. Mitarbeiter des Tiefbauamtes und Stadtbaurat Markus Bradtke stellten fest: „Ergebnisse des Büros sind unzureichend, pragmatisches Vorgehen, da weitere Sammlung und Auswertung das Ergebnis voraussichtlich nicht verbessern“.

Radschnellweg Ruhr in Bochum

Der Radschnellweg Ruhr (RS1) ist ein zentraler Baustein für die Mobilitätswende im Ruhrgebiet. Er verbindet zukünftig auf 117 Kilometern Länge die Städte von Moers über Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund bis Hamm.

In Bochum verläuft der RS1 von der Stadtgrenze Gelsenkirchen bis zur Innenstadt und dann weiter bis nach Dortmund. Rund 17 Kilometer ist diese West-Ost-Achse lang.

Die geplante Trasse durch die Innenstadt südlich der Bahnlinie ist etwas mehr als drei Kilometer lang. Sie beginnt an der Bessemer Straße und führt dann über Ehrenfeld- und Clemensstraße zur Hermannshöhe und zum Park & Ride-Parkplatz Klever Weg (ohne Bahnflächen). Weiter geht es über die Unistraße und den Buddenbergplatz zur Ferdinandstraße. Über die Wittener Straße gelangen Radfahrer schließlich in den Kortumpark und zur Springorum-Trasse.

Drei neue Bauwerke sind erforderlich: eine Rampe am S-Bahnhof Ehrenfeld und je eine Brücke über Uni- und Wittener Straße.

Die Kosten schätzt die Stadt auf 20,6 Millionen Euro. Davon entfallen 13,6 Millionen auf die Bauwerke.

Auch andere Hinweise an die Gutachter offenbaren das Bestreben der Verwaltung, die Empfehlung nicht akzeptieren zu wollen: Boulevard und Innenstadtring könnten nicht im erforderlichen RS1-Standard ausgebaut werden, Bus- und Fußgängerverkehr müssten stärker in die Wertung kommen, neuere oder anstehende Umbauten als zusätzliches Kriterium angesetzt werden, wird aus Bochum gefordert.

Die Konsequenzen der besprochenen Korrekturen werden zwischen den Beteiligten ausgetauscht und am Ende schriftlich fixiert: „… damit könnten folgende Straßen raus fallen: Alleestraße, Westring, Südring, Ostring, Bongard-Boulevard, Hattinger Straße, Oskar-Hoffmann-Straße, Steinring, Lohring, Unistraße. … Folge: dann fallen fast alle Trassen nördlich der DB-Hauptstrecke raus.“

Verhandlungen mit Bahngesellschaft laufen parallel

„Die Begründung der Verwaltung zur Eliminierung aller nördlichen Streckenvarianten ist eine Farce“, sagt Volker Steude. Insbesondere die Aussage, der RS1-Standard sei nicht umsetzbar. Im Gutachten seien keine Einschränkungen aufgeführt. Die Stadt indes teilt auf Anfrage mit, dass schon 2018 der Südring bei der Suche ausgeschlossen worden sei. Nur aufgrund der Bürgervorschläge sei erneut eine Abwägung der Variante vorgenommen worden. Mit dem gleichen Ergebnis: Der Platz reiche nicht.

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„Die Partei & Stadtgestalter“ kritisieren aber nicht nur die massive Einflussnahme der Verwaltung auf das Gutachterergebnis der Bernard-Gruppe, sondern bereits vor der Öffentlichkeitsbeteiligung geführte Gespräche mit einem für die Bahnflächen-Entwicklungsgesellschaft NRW (BEG) arbeitenden Ingenieurbüro. Schon Anfang Mai 2020 lag eine Untersuchung vor, die ziemlich exakt die jetzt favorisierte Trasse südlich der Bahn beschreibt.

Gutachten wird nach Änderung der Trassen teurer

Für Volker Steude ist klar: „Die Planung für die RS1-Strecke, wie sie jetzt beschlossen werden soll, gab es schon, bevor die publikumswirksame Suche begonnen wurde. Mit einer solchen Vorgehensweise hintertreibt man die hohe Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern sich an solchen Prozessen zu beteiligen.“

Nicht unerheblich sind die mit einem solchen Vorgehen verbundenen Kosten. Das Kölner Büro Bernard machte im Herbst 2021 daher auch einen „nicht unerheblichen Mehraufwand bei der Erstellung und Änderung der Pläne der Trassensuche“ geltend und forderte ein höheres Honorar. Laut Stadt bleibt es aber bei den „geplanten/kalkulierten Kosten in Höhe von 150.000 Euro“.

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