Bochum. Ein Beamter der Kripo Bochum steht wegen „Strafvereitelung“ vor Gericht. Er hatte Akten nicht bearbeitet. Überlastet sei er gewesen, sagte er.

Dieser Fall dürfte im Bochumer Polizeipräsidium für Gesprächsstoff gesorgt haben und noch immer sorgen. Ein Kriminalhauptkommissar (62) saß am Freitag auf der Anklagebank des Amtsgerichts wegen „Strafvereitelung“, weil er zehn Fälle nicht bearbeitet haben soll, so dass sie entweder verjährten oder nur stark verspätet an die Justiz weitergeleitet werden konnten. Es geht um Überlastung.

Der Wittener, seit vier Monaten im Ruhestand, arbeitete viele Jahre im Kommissariat, das bei Sexualdelikten ermittelt. In der Anklage geht es um Fälle von Exhibitionismus, sexueller Nötigung, sexueller Beleidigung und Vergewaltigung zwischen 2017 und 2020. Die Verjährung betraf drei Fälle von Exhibitionismus, die anderen Fälle wurden von Kollegen übernommen und dann doch noch an die Staatsanwaltschaft geschickt.

Bochumer Kripo-Beamter: „Ich kann das nicht mehr, es ist mir zu viel“

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Der Angeklagte wirkt zerknirscht und spricht von Überlastung durch viel zu viele neue Verfahren. Mehrfach habe er angemahnt: „Ich kann das nicht mehr, es ist mir zu viel. Jeden Tag habe ich mich zum Dienst geschleppt. Ich dachte, ich kriege einen ordentlichen Energieschub, damit ich das wegarbeiten kann, aber so weit ist es nicht gekommen.“

An die Fälle in der Anklage könne er sich überhaupt nicht erinnern, sagte er. Nur noch um die ganz wichtigen Vorgänge habe er sich gekümmert. „Ich wusste noch, dass ich da noch ein paar Akten an der Seite liegen habe, aber irgendwann habe ich den Überblick verloren, dass das so viele waren.“

Er habe auch seinen Chef über sein Problem informiert, aber: „Er hat mir immer weiter neue Vorgänge hin gepackt.“

Chef entdeckte 60 nicht erledigte Fälle auf einer „Resteliste“

Eine sogenannte formale Überlastungsanzeige habe er intern nicht verfasst, weil er sich sonst als Versager gefühlt hätte. „Ich habe gedacht, ich krieg das alles wieder auf die Beine.“ Vor einigen Jahren hatte er eine schwere Erkrankung gehabt, nach einer Reha aber weiter in Vollzeit gearbeitet.

Im Oktober 2020 flog der große Bearbeitungsstau auf. Sein Chef entdeckte auf einer „Resteliste“ des Kommissariats 60 Rückstände bei dem Beamten, tatsächlich waren es noch mehr.

Sein Vorgesetzter, so der Angeklagte, sei „total durchgedreht“. „Die haben regelrecht mein Büro gestürmt.“ In den Zwangsurlaub habe man ihn geschickt. Dann schob der KHK a.D. hinterher: „Irgendwie war ich froh.“

Sein damaliger Chef (60) bestätigte im Zeugenstand, dass die Arbeit in dem Kommissariat zugenommen habe. Der Angeklagte sei „überfordert“ gewesen und „nicht in der Lage, das zu regeln“. In seinem Büro hätte sich das „Papier ziemlich gestapelt“. Informiert habe ihn der Mitarbeiter über sein Problem aber nicht.

Verteidiger nahm den damaligen Vorgesetzten des Angeklagten in die Mangel

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Verteidiger Michael Emde verwies auf „sehr viele Pensionierungen“ bei der Polizei und Klagen von Polizeikräften über zu wenig Nachwuchs. Den damaligen Chef seines Mandanten nahm der Anwalt mit kritischen Fragen richtig in die Mangel. Er habe „zu wenig Augenmerk“ auf seinen Mitarbeiter gerichtet und Hinweise auf Überlastung „entweder nicht berücksichtigt oder falsch eingeordnet“. Emde sagte über den Angeklagten: „Wir haben hier keinen, der ein Faulpelz ist oder verhindern wollte, dass jemand bestraft wird.“ Er sprach von „Hilfeersuchen, Organisationsverschulden und Systemversagen“.

Gutachter: Angeklagter war nur vermindert schuldfähig

Ein forensischer Psychiater hatte den Kriminalhauptkommissar begutachtet und ihm wegen seines Gesundheitszustandes („kognitive Störung“) eine verminderte Schuldfähigkeit attestiert.

Auch vor diesem Hintergrund stellte das Gericht das Verfahren ohne Urteil ein. Bedingung: Der 62-Jährige zahlt 500 Euro an die Opferschutzorganisation Weißer Ring.