Bochum. Eine Riesen-Infektionswelle belastet Kinderärzte in Bochum. Sie klagen, dass Schulen zu oft ein Attest verlangen würden. Das sehen diese anders.
120 Kinder am Montag, 60 am Dienstagvormittag – alle in einer Praxis: „Wir haben gerade eine riesige Infektionswelle“, macht Kinderärztin Claudia Simon aus Langendreer deutlich. Das Problem betreffe Praxen im ganzen Stadtgebiet, weiß die Obfrau des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Für eine zusätzliche Belastung würden Schulen sorgen, die zu häufig ein Attest verlangen. Das bestreiten diese.
„Die Schulen haben sich eigene Regeln gemacht und überlegt, dass Kinder ab dem dritten Fehltag ein Attest brauchen“, schildert die Kinderärztin. Das sei bei Arbeitnehmern zwar notwendig, nicht aber bei Schülerinnen und Schülern.
Wann dürfen Schulen Atteste verlangen? Rechtliche Lage ist klar
Rechtlich ist das klar geregelt: Schulen dürfen nur dann ein ärztliches Attest von den Eltern verlangen, wenn sie begründete Zweifel an den vorgebrachten gesundheitlichen Gründen für das Fernbleiben vom Unterricht haben. Eine Ausnahme gilt zum Beispiel bei Abschlussprüfungen.
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Simon: „In diesem Jahr hatte ich zum Beispiel ein Kind, das in die zweite Klasse geht und ein Attest brauchte, weil an dem Tag ein Test geschrieben wurde.“ Das sei vollkommen unsinnig, die Schilderung keine Ausnahme. Dabei seien die Praxen ohnehin überlastet. „So schlimm war es um diese Jahreszeit noch nie“, erklärt Simon.
Sind die Eltern ohnehin beim Kinderarzt, gibt Claudia Simon ihnen einen Nachweis mit, dass sie da waren. Zudem hat sie Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe, auf denen steht, dass ein Attest nicht notwendig ist.
Oft erkennen die Eltern selbst, dass Kinder Ruhe brauchen – dafür sei nicht immer der Besuch beim Arzt nötig. Dass Eltern Kinder bewusst aus der Schule nehmen, obwohl diese gesund sind, sei eher die Ausnahme als die Regel. „Man kann doch nicht alle Eltern unter Generalverdacht stellen“, kritisiert Simon.
Auch Kitas oder Tagesmütter würden oft ein Attest verlangen
Das Problem gebe es übrigens auch bei Kitas oder Tageseltern, die ein Attest verlangen, damit Kinder wieder gebracht werden dürfen. Auch das belaste zusätzlich – und sei in vielen Fällen gar nicht nötig.
Erst vergangene Woche hat die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein auf die Problematik aufmerksam gemacht. „Die Ärztinnen und Ärzte brauchen die Zeit aber aktuell dringend für medizinische Behandlungen, nicht für bürokratische Aufgaben und formal unnötige Atteste“, verdeutlichte der Vorstandsvorsitzende Frank Bergmann.
Das sagen die Schulen in Bochum
Das hat unsere Redaktion zum Anlass genommen, auch bei den Bochumer Schulen nachzufragen – elf haben auf unsere Anfrage geantwortet. Von Joan-Krebs-Schmid, Leiter der Anne-Frank-Realschule, heißt es zum Beispiel: „Bezogen auf die Attestpflicht verwenden wir sie nur in Fällen (...), wo wir einen begründeten Verdacht haben, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur krankheitsbedingt fehlen.“ Das sehe sie als einen Teil der Fürsorgepflicht den Kindern und Jugendlichen gegenüber.
Ähnlich handeln viele Schulen: „Bei den Attesten haben wir keine Probleme, da wir diese nur nach der Erlasslage einfordern“, heißt es zum Beispiel von Eike Völker, stellvertretender Leiter der Schiller-Schule. Mathias Balliet, Leiter der Hellweg-Schule, erklärt: „Grundsätzlich entschuldigen die Eltern das krankheitsbedingte Fehlen ihrer Kinder. (...) Ich bin mir sicher, dass wir keine Atteste in Situationen einfordern, in denen es uns nicht zusteht“, so Balliet.
Schulen vertrauen den Eltern grundsätzlich
Die Schulen betonen, dass sie den Eltern grundsätzlich vertrauen, wenn diese ihre Kinder krank melden. „Es ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll in der aktuellen Erkältungszeit ein Kind nur wegen einer ,Attestpflicht’, die das Schulgesetz gar nicht vorsieht, in eine überfüllte Arztpraxis zu setzen und zusätzlich den bürokratischen Aufwand zu erhöhen“, erklärt Britta Hartmann, Leiterin der Waldschule in Bochum.
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„Ich halte es für wichtig, dass Atteste weiterhin angefordert werden können, wenn begründete Zweifel vorliegen. Dies ist z. B. bei Schulpflichtverletzungen relevant“, sagt Elke Arnscheidt, Leiterin der Graf-Engelbert-Schule.
Schüler mit Attestpflicht bekommen Schwierigkeiten
Einen anderen Punkt spricht Ute Meyer-Lerch, Leiterin der Werner-von-Siemens-Schule, an: „Schüler*innen mit auferlegter Attestpflicht aufgrund zuvor hoher unentschuldigter Fehlzeiten müssen sich nun deutlich mehr um einen Nachweis bemühen.“ Die Erfassung unentschuldigter Fehlzeiten würde durch die Forderung deutlich erschwert.