Essen. Wegen vieler Attest-Anfragen beklagen Kinder- und Jugendärzte in NRW eine hohe Belastung in den Praxen: „Uns steht das Wasser bis zum Hals“.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) beklagt die in Nordrhein-Westfalen zunehmende Überlastung der Praxen durch viele Attest-Anfragen. Laut Verband fragen vor allem viele Schülerinnen, Schüler und Eltern in den Praxen Atteste an, die die Schulen bei einer Krankmeldung einfordern.
Dabei sei das gar nicht notwendig, sagt Axel Gerschlauer, Sprecher des BVKJ Nordrhein und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. „Die vielen Attest-Ausstellungen verschärfen die Zukunftssorgen der pädiatrischen Praxen.“ Schon lange kämpften die Praxen hierzulande mit einem hohen Fachkräftemangel. „Uns steht das Wasser bis zum Hals“, betont Gerschlauer.
Nur Eltern sind in der Pflicht, Kinder krankzuschreiben
„Fast täglich kommt ein Teenager mit einer dicken Erkältung rein, der von der Schule aus ein Attest braucht“, erzählt der Facharzt, obwohl dieser eigentlich mit einem Tee aufs Sofa gehöre. Dabei besteht laut Schulministerium für erkrankte Schülerinnen und Schüler keine Attestpflicht – auch nicht nach dem dritten Tag. Wenn Atteste dieser Art wegfielen, so Gerschlauer, dann würden Kinder, die dringend Behandlung brauchen, schneller drankommen. Zudem könnten Praxen mehr von ihnen aufnehmen.
Der BVKJ Nordrhein und Westfalen-Lippe hat sich deshalb an die Schulleitungsvereinigung NRW gewandt, mit der Aufforderung, keine ärztlichen Atteste mehr zu verlangen. Allein die Eltern seien in der Pflicht, eine Krankschreibung für ihr Kind auszustellen.
Ärztliches Attest nur in Ausnahmefällen erforderlich
„Die Schulleiterinnen und Schulleiter wissen in der Regel, dass es keine allgemeine Attestpflicht gibt“, sagt Harald Willert, Vorstandssprecher der Schulleitungsvereinigung. Unter anderem eine steigende Abwesenheit der Schülerinnen und Schüler zwinge die Schulen jedoch, den Gesundheitszustand der Betroffenen medizinisch abklären zu lassen.
Laut Schulgesetz gibt es bei Klassenarbeiten und Klausuren eine Ausnahme: Demnach können Schulen bei begründeten Zweifeln, ob der Unterricht aus gesundheitlichen Gründen versäumt wird, ein ärztliches Attest verlangen. In besonderen Fällen kann die Schule auch ein amtsärztliches Gutachten einholen, heißt es vom Schulministerium. Eine generelle Vorschrift für ein ärztliches Attest bei einer versäumten Klassenarbeit oder Klausur gebe es jedoch nicht. Nur im Bereich der Abschluss- und Nachprüfungen sehe die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen eine Attestpflicht ausdrücklich vor.
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Eltern, die wegen ihres erkrankten Kindes nicht arbeiten können, brauchen hingegen bereits am ersten Tag eine ärztliche Bescheinigung für einen „Kinderpflegetag“. Noch bis Ende März 2023 geht das auch telefonisch. Die BVKJ fordert die Möglichkeit einer dauerhaften telefonischen Anamnese.